Familienergänzende Betreuung von Kindern: Das ist schon heute ein wichtiges Thema von zunehmender Bedeutung. Dabei geht es nicht um eine «Aufsicht», sondern darum, die Kinder gut und porfessionell und vor allem liebe- und vertrauensvoll zu betreuen. Die Non-Profit-Organisation profawo engagiert sich in der ganzen Schweiz für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und betreibt über 20 Kindertagesstätten. Im Gespräch mit der pädagogischen Leiterin Mirjam Meyer und der Geschäftsführerin Renate Derungs über Pädagogik und die Notwendigkeit einer hohen Betreuungsqualität in Kitas.
In Kitas wird immer pädagogisch gearbeitet
Für viele Eltern sind Kitas in erster Linie eine Betreuungsmöglichkeit. Welche Rolle spielt das Thema Pädagogik dort überhaupt?
Mirjam Meyer: Bezüglich Pädagogik kann man sagen, dass bei den Eltern eine Grunderwartung besteht, dass das Kind gefördert wird, sich wohl fühlt und sich gut entwickeln kann. Den Eltern ist vielleicht zu wenig bewusst, dass dies nicht selbstverständlich ist und sie diesen Aspekt im Entscheidungsprozess und nicht erst nach dem Kitaeintritt genau evaluieren sollten. Es gibt grosse Unterschiede in derpädagogischen Qualität bei den Betreuungseinrichtungen. Im Auswahlprozess stehen gemäss unseren Umfragen die zentrale Lage, gute Erreichbarkeit, möglichst f lexible Öffnungszeiten und auch die Kosten noch vor der Qualität.
Renate Derungs: Viele Eltern suchen für ihr Kind nicht nur eine Betreuungsmöglichkeit, sondern in erster Linie eine gute Betreuungsmöglichkeit. Häufig steht dabei für «gut» der Aspekt der Konstanz des Betreuungsteams an oberster Stelle. Auch aus unserer Sicht ist diese Konstanz wichtig, Daher ist es eine Aufgabe des Kitabetreibers, gute Arbeitsbedingungen fürs Personal anzubieten, damit es möglichst wenig Wechsel gibt.
Worin besteht Pädagogik in Kitas, inwieweit kann an einzelnen Halbtagen oder Tagen auf pädagogischer Ebene gearbeitet werden?
Mirjam Meyer: Pädagogik in Kitas oder im Vorschulalter allgemein beinhaltet alle Aspekte des Lernens. Das heisst aber nicht, dass zwei- oder dreijährige Kinder Mathematik und Englisch pauken müssen. Es bedeutet, dass sie in ihrer emotionalen, sozialen und kognitiven Entwicklung pädagogisch begleitet und optimal gefördert werden. Lernen in diesem Alter heisst, vielfältige Erfahrungen auf allen Ebenen sammeln. Ein Mensch lernt nie so viel Neues wie im ersten Lebensjahr. Es ist allgemein anerkannt, dass die ersten sechs Lebensjahre bezüglich emotionalem, sozialem und kognitivem Lernen prägend fürs ganze Leben sind. Dies gilt im positiven wie im negativen Sinn. Darum ist jede Handlung im Kitaalltag Pädagogik: Jedes Wort, jede Geste, die Mimik, das Spielangebot, Raumgestaltung, die Gruppenzusammensetzung. Es wird immer pädagogisch gearbeitet. Die Frage stellt sich viel mehr, welche Qualität diese alltägliche Pädagogik hat und ob sie auf professionellen Grundlagen aufgebaut ist. Wichtig sind dabei zwei Punkte: Die Ausbildung und Erfahrung des Betreuungspersonals sowie die Dauer und Konstanz der Beziehungen zu Betreuungspersonal und Kindergruppe. Je konstanter diese Faktoren sind, desto höher ist die Qualität. Es kann Vertrauen, Sicherheit und Halt entstehen und dem Kind mit Achtsamkeit begegnet werden.
Können Sie Beispiele für Pädagogik im Kita-Alltag geben?
Mirjam Meyer: Das Kind wird selbständig, indem es möglichst viele Dinge des täglichen Lebens selber machen und lernen darf, weil das Personal ihm dafür Zeit und Möglichkeiten gibt. Für die Kinder alles zu erledigen wäre schlechte Pädagogik. Das Kind hat Raum zum freien Spiel.Es stehen alltägliche Materialien wie beispielsweise Behälter und Wasser zur Verfügung, mit denen das Kind experimentieren und Erfahrungen sammeln kann. Es gibt einen Raum, der nass werden darf und auch das Kind darf dabei nass werden. Oder dieser Fall: Ein Kind weigert sich, an den Mittagstisch zu kommen. Eine geschulte Betreuungsperson versucht in dieser Situation im Gespräch dem Kind zu helfen, seine Emotionen zu verstehen und aus eigenem Antrieb an den Tisch zu kommen. So wird das Kind in seinen Empfindungen ernst genommen und respektiert.
Wünschen sich Eltern pädagogisch geschultes Personal in Kitas, ist das ein zunehmendes Bedürfnis?
Mirjam Meyer: Ja, das ist klar gewünscht. Sie erwarten zu Recht, dass genügend pädagogisch ausgebildetes Personal da ist. Das Wissen und das Bewusstsein dafür nehmen zu.
Renate Derungs: Eltern wünschen sich auf alle Fälle geschultes Personal, etwas anderes ist auch – zum Glück – gar nicht zugelassen und wäre der falsche Weg. Diese Qualität kostet natürlich. Eltern sind teilweise auch sehr bereit, die hohen Kosten für einen Betreuungsplatz in der Schweiz zu zahlen. Jedoch kann es sich auch nicht jede junge Familie leisten, monatlich für zwei Tage zum Beispiel gut tausend Franken für einen Säuglingsplatz aufzuwenden.
Wenn dann ein Geschwisterkind dazu kommt, hören denn auch häufig die Mütter mit ihrer Berufsarbeit auf. Also ist es sehr wichtig, dass die Eltern wissen, was sie für den Preis erhalten, das heisst die Eltern müssen erkennen, warum gute Betreuungsqualität wichtig ist und entsprechend kostet. Vor allem aber plädieren ja auch Politik und Verbände für gut geschultes Personal in Kitas, für eine hohe Qualität in den Kitas. Dabei geht es häufig um den Aspekt der Chancengleichheit. Die Medien befassen sich seit Jahren stark mit der Frage der Frühförderung in Kitas, weg von «sauber, satt und sicher» hin zu Klein-Einstein oder Klein- Van Gogh … Die Kita-Richtlinien sind, je nach dem wo in der Schweiz, sehr streng ausgestaltet, so dass der Aufbau neuer Kitas von privater Hand eigentlich kaum noch finanziert werden kann.
Ist die erzieherische Arbeit in Kitas generell anspruchsvoller geworden, beispielsweise aufgrund gesellschaftlicher oder demografischer Veränderungen?
Mirjam Meyer: Ja, die Erwartungen seitens Gesellschaft sind gestiegen. Zudem hat sich auch die Pädagogik entwickelt. Es werden immer mehr Forschungsergebnisse bekannt und anhand derer orientiert sich das pädagogische Personal. Früher war es wichtig, dass ein Kind genügend zu Essen bekam und einen guten Tag erleben konnte. Heute reicht das nicht mehr. Es ist wichtig, was genau die Kinder zu essen bekommen, und es wird erwartet, dass das Kind gefördert wird. Heute sprechen wir von Selbstwirksamkeit, Selbstregulation und Selbstwahrnehmung. Begriffe, die man vor zehn Jahren noch kaum gekannt hat. Die ausserfamiliäre Betreuung ist heute gesellschaftlich anerkannter und hat somit einen höheren Stellenwert, darum gibt es auch von politischer Seite immer mehr gesetzliche Vorgaben und Richtlinien, die einzuhalten sind. Diese Qualität kostet. Billig-Kitas funktionieren nicht. Wenn die Betreuung schlecht ist, hat dies negative Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes.
Renate Derungs: Kitabetreiber – wie zum Beispiel profawo – müssen sehr eng kalkulieren, damit aus betriebswirtschaftlicher Sicht hohe Betreuungsqualität mit diplomierten Mitarbeitenden, ausgewogenem, gesundem, gerne biologischem Essen, einem breiten Angebot an pädagogischen Möglichkeiten, den von Eltern oft gewünschten pädagogischen Outdoor-Aktivitäten etc. umgesetzt werden kann. Kleine Kitas beziehungsweise kleine Trägerschaften können sich die damit verbundenen hohen Kosten je nach Standort nicht leisten. Hohe Mieten in stadtnahen Regionen tragen ebenfalls zu den hohen Kosten bei.
Wer kommt dafür auf?
Renate Derungs: Ausserfamiliäre Kinderbetreuung wird in der Schweiz hauptsächlich von den Eltern finanziert und wird weniger als in anderen Ländern als öffentliche Aufgabe anerkannt und vom Staat mitfinanziert. Unterschiedliche Subventionsmodelle in der Schweiz ermöglichen es auch unteren bis mittleren Einkommensschichten, Kita-Betreuung für ihre Kinder einzukaufen. Meine Vision ist, dass sich sowohl die öffentliche Hand, die Wirtschaft wie auch die Eltern die Kosten teilen, beispielsweise dritteln würden. Alle, die einen Nutzen aus der ausserfamiliären Kinderbetreuung ziehen, werden in die Verantwortung genommen. Eltern wissen ihre Kinder gut betreut, die Wirtschaft kann auch nach Elternschaft auf Mitarbeitende zählen, und die öffentliche Hand trägt mit ihrem Drittel zum Standortvorteil einer Stadt, einer Gemeinde oder eines Landes bei. In diesem Zusammenhang gibt es auch eine Studie, nach der belegt werden konnte, dass sich ein in Kinderbetreuung investierter Franken letztlich zweifach bezahlt macht.
Können Sie Ihr eigenes pädagogisches Konzept beschreiben? Worin liegen die Schwerpunkte, und wie wird es umgesetzt?
Mirjam Meyer: Unser pädagogisches Konzept wurde soeben nach den neuesten Standards des Marie Meierhofer Instituts überarbeitet. In unseren Kids & Co Kitas hat die pädagogische Qualität einen sehr hohen Stellenwert. Im Kitaalltag heisst das: Die Kinder in alltäglichen Spielen nebenbei in Themen wie Bindungsentwicklung, Sozialentwicklung oder Resilienz stärken; Raum und Zeit lassen für Erfahrungen im freien Spiel wie zum Beispiel die Gesetze der Schwerkraft entdecken; die Kinder alltägliche Verrichtungen ihrem Alter entsprechend selbständig erledigen lassen; mit den Eltern als wichtigste Bezugs- und Betreuungspersonen baut die Kita in regelmässigen Austauschgesprächen eine Elternzusammenarbeit auf; in unseren Räumen stehen vielfältige Bewegungsmöglichkeiten zur Verfügung; mit unserer Umsetzung der frühkindlichen Pädagogik unterstützen wir eine gesunde emotionale, soziale und kognitive Entwicklung, die sich positiv auf die (Bildungs-)biografie auswirkt; die Kinder werden so optimal auf die Schule und das Leben vorbereitet.
Wie wird sichergestellt, dass diese Ziele erreicht werden?
Mirjam Meier: Kids & Co betreibt über zwanzig Kitas. Durch die zentrale pädagogische Leitung steht Kids & Co für hohe und einheitliche Qualitätsstandards. Das Betreuungspersonal wird regelmässig an Tagungen und Sitzungen sowie im Alltag geschult. Die zentrale pädagogische Leitung steht für die Mitarbeitenden und auch für die Eltern als Ansprechperson zur Verfügung.