Behinderte Kinder sind lebensfähig – nicht nur medizinisch, sondern auch weil sie andere glücklich machen können. Trotzdem gibt es für deren Angehörige Tage voller Fragen. Die Beratungsstelle BFEK in Aarau hilft, Antworten zu finden.
Behindertes Kind – wer hilft?
«Für mich war es eine schwierige Situation, als mir vor 24 Jahren mein zweites Kind in den Arm gelegt wurde und ich sofort sah: Mein Daniel ist ein Kind mit Downsyndrom. Susanne Heuberger, die heute 48-jährige Mutter und seit letztem Oktober Leiterin der Beratungsstelle für Eltern und Kinder BFEK in Aarau, weiss noch genau, wie es ihr zu Mute war. In ihr kämpften Trauer, Enttäuschung, Auflehnung, Zweifel und Verzweif-lung. Diese Gefühle wichen dann der Überzeugung: «Ich habe ein Kind mit Downsyndrom, es soll das bestgeförderte behinderte Kind sein.»
Ihre Erfahrungen helfen ihr bei ihrer Arbeit bei der BFEK in Aarau, der einzigen Stelle in der Deutschschweiz, die Eltern mit entwicklungsverzögerten oder behinderten Kindern bis zum 10. Lebensjahr begleitet und berät. Die BFEK bietet Dienstleistungen an, die im Alltag mit behinderten Kindern von Bedeutung sind: Sie hilft bei Entlastungs-, Versicherungs-, Finanzierungs-, Rechts- und organisatorischen Fragen sowie bei der Vermittlung von Hilfsmitteln. Die Stelle gehört zu Pro Infirmis, die sich in der ganzen Schweiz für behinderte Menschen einsetzt.
BFEK füllte Lücken
Diese aargauische Beratungsstelle füllte vor 18 Jahren eine Lücke in der Behindertenbetreuung. Man hatte festgestellt, dass das Spital nur fürs Medizinische zuständig ist, die Pro Infirmis ihrerseits sich um Behinderte ab 10 Jahren kümmert. Wer, so fragte man sich, hilft vorher und in all den Fällen, die nichts mit der Gesundheit zu tun haben? Die BFEK, die einen Leistungsvertrag mit dem Kanton hat und je hälftig vom Kanton und von Pro Infirmis finanziert wird, war die Antwort. Die richtige Antwort, wie sich heute sagen lässt. Vom Angebot der BFEK machen die Eltern nicht immer sofort nach der Geburt eines behinderten Kindes Gebrauch. «Von uns aus nehmen wir dann Kontakt auf, wenn es die Eltern wünschen; die Pro Infirmis macht jedoch immer auf unsere Stelle aufmerksam.» Je nach familiärer Situation und je nach den seelischen und körperlichen Reserven der Angehörigen kann es Jahre dauern, bis sich die Eltern melden. Das ist häufig beim Übertritt in den Kindergarten der Fall.
Wenn Beziehungen brechen
Aufgefallen ist Susanne Heuberger, dass immer mehr alleinerziehende Mütter bei ihr anklopfen. Ein Zufall? «Aus meiner Sicht müssen Partnerschaften mit einem behinderten Kind besonders stark sein, damit sie diese Herausforderung bewältigen können. Beziehungen brechen dann auseinander, wenn sie schon vorher brüchig waren und eine zusätzliche Belastung nicht mehr bewältigt werden kann.»
Hilfe holen, um Aufgaben zu meistern
Je nach Schwere und Art der Behinderung des Kindes organisieren die Eltern oder Mütter mit Unterstützung der BFEK alles von der heilpädagogischen Früherziehung (bereits ab 3. Monat angezeigt), über die Physiotherapie bis zur Logotherapie, wie sie bei Kau- und Schluckproblemen nötig ist. Susanne Heuberger sieht ihre Aufgabe nicht nur als Vermittlerin von Fachpersonen oder im direkten Dienst am behinderten Kind, sondern auch als Unterstützung der Eltern, «damit sie sich nicht bis an den Rand der Erschöpfung aufopfern, sondern sich schon vorher Hilfe holen und sich befähigen, die komplexe Aufgabe besser zu meistern». Dann wird der Entlastungsdienst eingeschaltet; bei Schwerstbehinderten können Eltern ihr Kind eine Woche pro Monat in ein Heim geben, um aufzutanken und sich ihrer Partnerschaft und den übrigen Kindern widmen zu können.
In einem Fall ist ein 2-jähriges Kind so gross und so schwer, dass es einen besonderen Autositz und ein Spezialbett braucht. Eine Diagnose für diesen apathischen Knaben, der bloss auf dem Rücken liegt, sich nicht dreht und nicht mit den Händchen greift, gibt es nicht. Den sehr jungen Eltern greift die BFEK nun finanziell unter die Arme. Sie hat auch die regelmässigen Fahrten zur Therapie organisiert.
Auch behinderte Kinder gehören zum Leben
Kommt ein Kind mit einer Behinderung zur Welt, so sind die Eltern in den meisten Fällen überrascht und überrumpelt. Nur ganz wenige Frauen tragen ein Kind aus, wenn sie wissen, dass es mit grösster Wahrscheinlichkeit behindert sein wird. Ein Grund dürfte sein, dass in der Gesellschaft mehrheitlich die Meinung vorherrscht: Ein behindertes Kind muss nicht sein. Tatsächlich kann mit der vorgeburtlichen Diagnostik (Chorionbiopsie und Amniozentese) nachgewiesen werden, ob beim Embryo chromosomal alles in Ordnung ist und ob keine Stoffwechselkrankheiten vorliegen. Diese beiden Analysen werden vor allem Schwangeren über 30 empfohlen. «Sich gegen diese Untersuchungen zu wehren, braucht fast gleich viel Kraft und Mut wie der Entscheid, ein behindertes Kind nicht abzutreiben», sagt Susanne Heuberger. Sie respektiert jede Art von Entscheid, «weil Aussenstehende kaum besser wissen als die Betroffenen, welches für sie die richtige Lösung ist.» Susanne Heuberger erzählt von zwei Kindern, die beide schwerst behindert mit derselben Krankheit fast gleichzeitig zur Welt kamen. Ohne eine intensive 24-Stunden-Betreuung und Dauerbeatmung konnten die Neugeborenen nicht überleben. Ein Elternpaar hat sich entschieden, diese immense Aufgabe auf sich zu nehmen; das andere hat auf lebenserhaltende Massnahmen verzichtet; ihr Kind starb. Die Stellenleiterin sagt, dass solche Fälle die grosse Ausnahme seien, «denn auch be-hinderte Kinder sind in der Regel lebensfähig und lebenswillig und gehören zum Leben».
Beratungsstellen:
proinfirmis.ch: Pro Infirmis ist die grösste Behindertenorganisation der Schweiz, sie stellt die umfassende Integration von Menschen mit Behinderung ins Zentrum.
insieme21.ch: Der Verein insieme21 setzt sich ein für die Interessen von Menschen mit Downsyndrom und deren Angehörige.
procap.ch: Es ist eine Plattform, welche Menschen mit und ohne Handicap zusammenbringt und den Dialog fördert.
inclusion-handicap.ch: Inclusion Handicap fördert und koordiniert alle Bestrebungen für Eingliederung, Gleichberechtigung und Chancengleichheit behinderter Menschen in der Schulung und Ausbildung, im Beruf und in der Gesellschaft.
cerebral.ch: Schweizerische Stiftung für das cerebral gelähmte Kind
kind-autismus.ch: Stiftung Kind & Autismus ist ein Kompetenzzentrum für Kinder und Jugendliche mit autistischem Verhalten.
myhandicap.ch: Webportal für Menschen mit Behinderung und deren Freunde
evhk.ch: Elternvereinigung für das herzkranke Kind
blindenstiftung.ch: Aufgabe der Stiftung ist die Erziehung, Schulung und Beratung blinder und sehbehinderter Menschen von der frühen Kindheit an bis ins junge Erwachsenenalter.
muetterberatung.ch: Die Mütter- und Väterberatung ist eine Dienstleistung im sozial- und präventivmedizinischen Bereich und wird in der ganzen Schweiz flächendeckend angeboten.
lea-schweiz.ch: Die Organisation setzt sich ein für Frauen, die durch ihre Schwanger- oder Mutterschaft in eine Notsituation geraten sind
elpos.ch: Verein für Eltern und Bezugspersonen von Kindern sowie für Erwachsenen mit POS/AD(H)S-Syndrom