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Härtetest für Familien

Noch selten wurde die Familie so gefordert wie während der Coronakrise. Es galt, den Alltag mit den Kindern neu zu gestalten und Abläufe anders zu definieren. Teilweise dürften die Nerven blank gelegen haben, teilweise dürften neue Fähigkeiten entdeckt worden sein und ganz sicherlich wird jeder von uns gewisse Situationen für immer in Erinnerung behalten. Wir haben Anfang April mehrere Familien danach gefragt, wie sie diese Phase erleben.

Bild: @ VGstockstudio/Shutterstock.com

Annette Saloma: «Manchmal fliessen auch bei mir die Tränen»

Unsere Familie besteht aus mir, Annette (39), Milla (9) und Pele (6). Wir wohnen in Uster in einer kleinen 4-Zimmer-Wohnung, ich arbeite Teilzeit als Journalistin bei einer Lokalzeitung, Milla besucht die 3. Klasse, Pele den 2. Kindergarten. Da wir momentan nicht mehr auf die Redaktion dürfen, arbeite ich im Homeoffice.

Die Arbeit, die Kinderbetreuung und den Haushalt unter einen Hut zu bekommen, finde ich eine grosse Herausforderung, zumal ich alleinerziehend bin. Es gibt Tage, da geht es super und manche, da fliessen auch bei mir mal die Tränen. Ab und zu kommt auch eine Freundin vorbei und hilft mir mit den Kindern, damit ich auch einmal etwas Luft habe.

Zum Glück hat mein Chef Verständnis, sodass ich nicht die gleiche Performance abliefern muss wie sonst. Bis anhin habe ich mir mit Freelance-Aufträgen noch etwas dazuverdient – diese fallen jetzt mangels Zeit weg.

Milla bekommt von der Schule Wochenpläne, Pele erhielt ein etwas lieblos zusammengestelltes Heftchen, aus dem er sich täglich eine kleine Aufgabe aussuchen darf. Die Kinder sind mässig motiviert und ich habe weder Energie noch Lust, auch noch Kindergärtnerin, Primarlehrerin und Heilpädagogin (meine Tochter hat Dyskalkulie, also Mühe mit Zahlen) zu spielen.

Also beziehe ich sie in den Haushalt mit ein, lehre sie kochen, backen, haushalten. Wir gehen in den Wald und machen Feuer und Schlangenbrot oder gehen alle zu sammen joggen. Ich habe Badezimmer, Küche und Keller ausgeräumt und geputzt – Projekte, die ich bis jetzt immer vor mir hergeschoben habe.

Meine Tochter hat angefangen, Briefe an ihre Freundin zu schreiben und freut sich jedes Mal, wenn sie Antwort bekommt. Die morgendlichen Lektionen von «Schlaumeier» findet sie auch ganz toll. Mir ist nicht wichtig, dass meine Kinder nach dieser Zeit Klassenbeste sind – sondern, dass sie diese Zeit in bester Erinnerung behalten. Am wichtigsten finde ich, dass wir als Familie psychisch gesund bleiben und Spass haben.

Nicole Rosatti:  «Freitag, der 13.»

Es hat uns, und damit bin eigentlich nur ich gemeint, wie ein Schlag getroffen: Die Schule wird geschlossen, und das für mindestens fünf Wochen! Gefühlte 40 Jahre lang habe ich mich über Mythen rund um den «Freitag, den Dreizehnten» lustig gemacht und dann kommt er, dieser eine Freitag, der 13. März 2020.

Ich bin übrigens Nicole, 41 Jahre alt und alternierend Erziehende von zwei vorpubertären Mädchen, Oliva (12) und Elodie (11). Wir wohnen in Solothurn.

Als wir die je nach Blickwinkel frohe oder niederschmetternde Botschaft erhalten haben, war ich mit Freundinnen in der Stadt unterwegs. Nervös drückte ich immer wieder auf mein Handy, auf dem ich den Liveticker der Medienkonferenz des Bundesrates verfolgte. Und dann stand er da. Der Satz, der uns Eltern noch das Fürchten lehren sollte: «Alle Schulen werden geschlossen bis zum 19. April 2020.»

Während wir Mütter nicht wussten, ob wir schreien und weinen oder uns einfach heimlich für die nächsten Wochen aus dem Staub machen sollten, feierten die Kinder ihre neu gewonnene Freiheit.
Seither sind viele Wochen vergangen und bis jetzt habe ich keine langfristigen Schäden davongetragen. Wenn ich ehrlich bin, eher im Gegenteil. Die Coronakrise hat natürlich auch uns vor einige Herausforderungen gestellt. Wir leiden darunter, dass wir uns nicht mehr frei bewegen und unsere Freunde nicht treffen können. Wir sind sehr aktiv und gesellig und – wie uns jetzt auffällt – irgendwie immer unterwegs gewesen.

Ich darf zum Glück noch jeden Morgen zur Arbeit ins Büro, wofür ich echt dankbar bin. Ich weiss nicht, ob ich die Zeit ohne diese Abwechslung gleichermassen gut wegstecken würde. Um 8.30 Uhr rufe ich jeweils zu Hause an, um zu kontrollieren, ob die Mädchen parat für ihr Homeschooling sind, das jeweils um Punkt 9 Uhr beginnt und sie bis am Mittag beschäftigt. Zum Glück sind sie sehr selbstständig und auch hochmotiviert.

Ansonsten schalten wir gerade einen Gang zurück, denn nachmittags lassen wir uns einfach Zeit für uns, mal zusammen, mal jede für sich. Völlig planlos. Viel zu planen gibt es ja nun mal nicht. Uns ist bewusst geworden, wie durchgetaktet unser Alltag normalerweise ist und kaum noch Spielraum übrig lässt. Und es wird uns bewusster denn je, wie sehr uns unsere restliche Familie und Freunde fehlen.

In einer Sache sind wir uns deshalb einig: Sobald wieder möglich, feiern wir eine Umarmungsparty mit all unseren Liebsten! Möge die Liebe weiterhin mit uns sein.

Julia Nickel: «Homeschooling ist echt ätzend!»

Wir sind ein reiner Weiberhaushalt aus Menziken. Mein Name ist Julia Nickel, ich bin 38 Jahre alt und Mutter von zwei Mädchen. Talea ist sieben und Malin drei Jahre alt.

Ich studiere im 3. Semester an einer Fernuniversität in Deutschland Heilpädagogik.
Dieses Studium in der Kombination mit Kindern, die nun immer zu Hause sind, hat es echt in sich.
Meine Mädchen und ich gehen jeden zweiten Tag spazieren und halten uns an den empfohlenen Abstand. Wir haben glücklicherweise einen grossen Balkon mit einem Sandkasten und einer Matschküche zum Spielen.

Mit unserer Familie und unseren Freunden treffen wir uns zurzeit grundsätzlich nicht. Und ja, ich fühle mich daher oft etwas einsam. Aber wir versuchen, uns mit Videotelefonie Abhilfe zu schaffen.

Einerseits ist es schön, so «gemütlich» zusätzliche Zeit mit den Kindern zu haben, ohne ständigen Termindruck und viele zusätzliche Verpflichtungen, die aktuell auf das Minimum reduziert sind. Andererseits strengt dieses «24-Stunden-Aufeinandersitzen» aber auch echt an.

Meine Laune ist nicht immer gleich gut. Und meine Nerven durch die Herausforderung strapaziert. Es gibt Momente, da könnte ich einfach nur drauflosschreien. Der Lärmpegel ist enorm, die Mädchen sind nicht wirklich ausgelastet, das täglich entstehende Chaos ist riesig und das Gezicke der Schwestern macht das Ganze auch nicht besser.
Das Homeschooling ist echt ätzend und für mich anstrengend, da meine Grosse alles andere als top motiviert selbstständig ihre Aufgaben erledigt. Also muss ich fast alles mit ihr zusammen machen. In dieser Zeit fühlt sich die Dreijährige verständlicherweise vernachlässigt. Dank verschiedener Apps, die wir von der Schule zur Entlastung gekriegt haben, klappt es mittlerweile etwas besser.

Für mich die grösste Herausforderung ist, noch irgendwie Zeit und Energie für mein Studium zu finden. Meine eigene Motivation sackt immer mehr in den Keller und am Abend fühle ich mich zu müde und habe den Kopf zu voll, um wirklich zu lernen.

Zum Glück brauche ich bis Ende April nur noch ein Modul abzuschliessen – und bis dahin geht hoffentlich zumindest eine meiner Räubertöchter wieder zur Schule.

Bis dahin sind die Tage lang und herausfordernd, die Motivation und Stimmung nicht immer gleich gut. Dennoch versuchen wir, die Zeit miteinander zu geniessen.

Franziska von Grünigen: «In den vier Wänden soll es glitzern und funkeln!»

Ich bin Franziska (41) und wohne zusammen mit Christian (48) und unseren beiden Kindern Lotta (6) und Arno (4) in Winterthur.

Christian ist Lehrer und ich bin Radiomoderatorin. Wir arbeiten beide Teilzeit und können uns die Kinderbetreuung deshalb gut aufteilen – ohne, dass wir tagsüber zwingend Homeoffice machen müssen. Wir setzen uns dann an die Arbeit, wenn sich die Kinder selber beschäftigen. Oder ich verlege meine Arbeit oft in die Abendstunden, wenn die Kinder schlafen.

Unseren Tagesablauf haben wir sehr grob eingeteilt. Um acht Uhr gibt es Frühstück, danach eine Lektion «Schlaumeier.online» und Sport. Bis zum Mittagessen beschäftigen sich dann alle selbständig mit Hausaufgaben, Spielen, Hausarbeit oder Homeoffice. Das Essen kochen wir zusammen. Am Nachmittag gehen wir raus an die frische Luft, spielen ein Kartenspiel oder die beiden Kinder hecken in der Wohnung ein Abenteuer aus.

Es ist mir sehr wichtig, dass wir es lustig haben und es bei dem wenigen, was wir noch tun können, gelegentlich glitzert und funkelt. Das Leben soll auch in den vier Wänden Spass machen. Die Kinder toben sich im freien Spiel aus. Die Stube wird zum Schnellzug, zum Schiff, zur Hüpfburg. Das Badezimmer zu einer Schleiffirma oder einer Buchhandlung. Das Mittagessen findet mal an einem Kindertischli statt, mal auf der Picknickdecke im Wohnzimmer, mal im spontan gebauten «Hund-Mensch-Restaurant». Wenn die Kinder ihre Ideen umsetzen, sind sie auch jeweils mit Feuereifer dabei, wenn es darum geht, den Tisch zu decken. Das mit dem Aufräumen müssen wir allerdings noch etwas üben. Unsere «Spezialmittagessen» finden meistens statt, wenn Christian aus dem Haus ist. «Gäll, jetzt machemer öppis, wo de Bapi nöd würd erlaube», sagte Lotta kürzlich augenzwinkernd.

Angst, uns anzustecken, haben wir nicht. Es ist das Verantwortungsgefühl, welches uns antreibt, nicht Teil der Ansteckungskette zu sein. Deshalb halten wir uns strikt an die Vorgaben des Bundes. Wenn wir rausgehen, dann in den Wald, an den Fluss oder an Orte, wo keine anderen Menschen sind.

Als schwierig empfinden wir im Moment die Tatsache, dass für uns als Eltern relativ wenig Zeit bleibt, uns ganz auszuklinken und etwas für uns zu tun. Die Kindernerven sind auch deutlich strapazierter als «vor Corona». Kürzlich haben wir in einem kleinen Feuerritual all das verbrannt, was uns am Coronavirus nervt. Es war hilfreich zu sehen, was den Kindern zu schaffen macht: dass die Pony-Woche ausfällt. Dass sie Freunde nicht mehr sehen können. Dass alles plötzlich so anders ist.

Was wir geniessen, ist die Entschleunigung, das Runterfahren. «De Coronavirus hätt doch öppis guets», sagte Lotta kürzlich zu ihrem Bruder. «Wil ich nüme chan mit mine Fründinne abmache, mach ich jetzt vill meh mit dir!» Und dann umarmte sie ihn wie noch nie in ihrem Leben. Zu sehen, dass die beiden Kinder, die sonst so viel zoffen, plötzlich beste Freunde sind, berührt uns sehr. Not macht offenbar versöhnlich.

Sophie Freudenberg: «Ich habe das Gefühl, in einem Nichts zu schwimmen»

Wir sind ein junges Paar mit zwei kleinen Kindern und wohnen in der Stadt Bern. Da wir recht früh Eltern wurden, studieren wir beide noch. Oli, 28, in Bern, ich, Sophie, 25, in Basel. Daneben arbeitet Oli als Förderlehrperson.
Bevor all die einschneidenden Massnahmen erlassen wurden, haben wir nicht bemerkt, wie geregelt unsere Wochen eigentlich abliefen. Management – dieser Begriff ist dafür erstaunlich passend. Und obwohl mir dieser Ausdruck nicht gefällt, muss ich mir zugestehen, dass es genau das ist, was mir zurzeit fehlt. Ich habe das Gefühl, in einem Nichts zu schwimmen. Orientierungslosigkeit, Überforderung und Isolation prägen nun meinen Alltag.

Die Kinder, 4 und 1 Jahr alt, sollten nicht mehr in die Kita gehen, Oli arbeitet und studiert von zu Hause aus und auch ich hätte notabene viel für mein Studium zu tun. Homeoffice – was zu Beginn so schön klang, stellt sich nun als grosses, schreckliches Unheil heraus. Von allen Seiten strömen Erwartungen, Ansprüche und Forderungen auf uns ein.
Die Kinder sind davon auch betroffen, da wir immer weniger Zeit für sie haben und sie Familie und Freunde vermissen. Entschleunigung oder mehr Zeit für Familie trifft man bei uns nicht an. Ob wir alles schaffen? Nein, eher nicht. Ob uns das stresst? Ja, extrem. Was uns hilft? Humor, Gelassenheit und Prioritäten setzen (einfacher gesagt als getan)!
Uns ist bewusst, dass die Krise viele andere um Welten härter trifft als uns – manchmal erscheint es uns als anmassend, wenn wir uns über die gegenwärtige Lage beschweren. Und dennoch sind wir psychisch an der Belastungsgrenze und wir fragen uns: Wann wachen wir aus diesem unwirklichen Traum wieder auf?

Wir versuchen, die neuen Umstände anzunehmen und uns darin einzubetten, was wohl seine Zeit brauchen wird. Wir versuchen, für die Kinder da zu sein, mit ihnen zu singen, zu basteln, im Garten zu spielen, ihnen Halt und Freude zu geben. Wir versuchen, unsere Aufträge für Uni und Arbeit gewissenhaft auszuführen. Wir versuchen, alle Verordnungen und Empfehlungen einzuhalten. Wir versuchen, uns selbst Ruheinseln zu ermöglichen. Wir versuchen, den Haushalt zu bewältigen und wir versuchen, die Ansprüche runterzuschrauben. Wir versuchen, das alles im Versuch, nicht daran zu verzweifeln (wie paradox ist das denn?).

Und wir versuchen es im Wissen, wohl kläglich daran zu scheitern, aber auch in der Gewissheit, dass wir damit nicht alleine sind.

Lea Cortesi:  «Ein kreatives Familientagebuch gegen den Lagerkoller»

Ich darf uns vorstellen: Wir sind die Familie aus der sogenannten Villa «Hebdifescht» in Bülach. Wir, das sind Lorenzo (7 Jahre), die Zwillinge Sofia und Alessandro (5 Jahre), mein Mann Lucas (34 Jahre) und ich, Lea (34 Jahre). Lucas arbeitet als Vollzeit-Biologe und ich bin als Teilzeit-Texterin tätig.

Seit dem Corona-Shutdown ist unsere Wochen- und Tagesstruktur, welche für uns sowohl wichtig als auch austariert war, von einem Tag auf den andern komplett weggebrochen. Das haben wir als verunsichernd empfunden. Gleichzeitig versuchten wir, der neuen Situation aber auch etwas Gutes abzugewinnen: Einfach mal entschleunigen kann nicht schaden.

Dass es keine Ferien sind, haben wir sehr schnell realisiert. Haushalt, Homeoffice, zwei Kindergartenkinder beschäftigen und einen siebenjährigen Jungen beim Homeschooling betreuen – wie soll das aufgehen? Wir fühlen uns überfordert und sind zwischendurch ziemlich entnervt. Erst hatten wir die Hoffnung, dass die Kinder auch einmal selbstständig arbeiten. Doch das gelingt nur selten. Und so wechseln mein Mann und ich uns ab mit dem Homeoffice – was zur Folge hat, dass wir auch mal abends, wenn die Kinder schlafen, etwas arbeiten müssen.

Bei uns gehts manchmal chaotisch und laut zu und her, dafür sind wir ziemlich kreativ. So haben wir, um etwas mehr Struktur und Inhalt in unsere Tage zu bekommen, gleich am Tag 1 der Schulschliessung ein Familientagebuch auf www.villa-hebdifescht.ch gestartet. Es bereitet uns Freude und wir erhalten eine Menge schöner Feedbacks. Das Führen des Tagebuches hat uns schon über einige Zwischentiefs hinweggeholfen, denn auf diese Weise reflektieren wir unseren Tagesablauf. Ausserdem teilen wir den Alltag ein wenig wie gewohnt mit unserem Umfeld, das uns so sehr fehlt. Es hilft uns, die Zeit ohne Freunde und Familie zu überbrücken. Auf dass diese seltsame Zeit nicht mehr allzu lange dauern möge.