Im vergangenen Jahr gab es in der Schweiz auffallend viele Vorfälle mit Zecken. Das Bundesamt für Gesundheit, BAG, empfiehlt deshalb, sich impfen zu lassen. Was passieren kann, wenn es zu einem Zeckenstich kommt und wie man dann am besten vorgeht, verrät Werner Tischhauser im Interview.
Jede entfernte Zecke ist eine gute Zecke
Im Jahr 2020 gab es in der Schweiz auffallend viele Zeckenstiche. Wurden Sie in der Praxis öfters damit konfrontiert, als es vielleicht in anderen Jahren der Fall war?
Über die Präventions-App «Zecke» sind dieses Jahr fast 20 000 Zeckenbeobachtungen erfasst worden. Darunter sind über 15 000 Zeckenstiche. Offenbar kam es 2020 öfter zum direkten Zusammentreffen zwischen Menschen und Zecken als in durchschnittlichen Jahren.
Ein weiterer Hinweis, dass dieses Jahr kein «normales» Zeckenjahr ist, geben die Fragen der Bevölkerung, die von der Liga für Zeckenkranke Schweiz (LiZ) laufend beantwortet werden. Zwischen April und Juni trafen viele Fragen zu Zecken, Nachweistests für Borreliose und zum Arzt-Patienten-Gespräch ein.
Das BAG empfiehlt eine entsprechende Impfung. Ist es sinnvoll, dass sich Kinder und Jugendliche dagegen impfen lassen?
Personen, die sich häufig oder für längere Zeit in einem FSME-Risikogebiet mit Impfempfehlung draussen aufhalten, sollten sich laut BAG impfen lassen. Diese Empfehlung gilt offiziell für Kinder ab 6 Jahren.
Die FSME-Schutzimpfung schützt wirkungsvoll vor der viralen Infektionskrankheit «Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME)» und nicht vor der Borreliose. Die Frage der FSME-Schutzimpfung sollten sich in erster Linie die Erwachsenen stellen. Mit fortschreitendem Alter und vor allem bei der Altersgruppe 50 Plus häufen sich schwere neurologische Verläufe der FSME. Bei Kindern verläuft eine FSME-Infektion in den allermeisten harmlos.
Wie muss ich mich verhalten, wenn ich mich in der Natur aufgehalten habe?
Schon während des Aufenthalts draussen in der begrünten Natur (Wald, Wiese, Weide, Waldlichtung, Brätelstelle, Erlebnisspielplatz, …) sollte man ab und zu die Kleider und die Haut auf herumkrabbelnde Zecken hin überprüfen. Das ist v. a. dann der Fall, wenn ich mich abseits der Wege bewege oder wenn ich für eine Pinkelpause hinter die Büsche verschwunden bin. Dabei hilft helle Kleidung, weil der Kontrast zu den schwarzen Zecken gross ist. Auf dunkler Kleidung sind die dunklen Zecken unsichtbar.
Am Abend nach der Freizeitaktivität sollte der Zecken-Check zum abendlichen Ritual werden.
Wenn ich eine Zecke finde, was muss ich tun?
Jede Zecke, die ich am Abend entdecke und entferne, ist eine «gute» Zecke, weil ich sie bewusst wahrgenommen habe. So kann ich den Zeckenstichort auf der Haut weiter beobachten und zum Beispiel eine Wanderröte (kreisrunde Hautrötung rund um die Zeckenstichstelle) erkennen. Das ist ein deutliches Symptom einer aktiv ablaufenden Borreliose-Infektion und dann sollte man für eine Diagnose zum Arzt gehen. Da 50 % aller Zeckenstiche gar nicht bemerkt werden (Zecken injizieren bei der Blutmahlzeit ein Betäubungsmittel), überträgt die Zecke mit einer zeitlichen Verzögerung von ca. zwölf bis 16 Stunden die Borrelien aus dem Zeckenmagen über die Haut an den Menschen. Das kann bei den allermeisten Zeckenstichen verhindert werden, wenn die Zecke am selben Abend entdeckt und entfernt wird. Allgemein sollte jede und jeder eine Zecke selber entfernen und nicht zuwarten, bis man zu Hause ist und die Pinzette zur Hand hat. Im Notfall entfernt man die Zecke mit den Fingernägeln, egal ob der Zeckenkopf drin bleibt oder nicht. Dieser ist nur ein Fremdkörper in der Haut und nicht mehr zur Übertragung von Krankheitserregern fähig (diese stecken im Zeckenmagen). Vor der FSME schützt die Schutzimpfung, ein schnelles Entfernen der Zecken schützt nicht vor der Übertragung, die sofort bei dem Stich über die Speicheldrüse der Zecke stattfindet. Mehr dazu in der Präventions-App «Zecke».
Wie oft gibt es nach einem Zeckenbiss ernsthafte Komplikationen, wie beispielsweise eine Hirnhautentzündung?
Zu einem schweren Verlauf einer FSME-Infektion mit neurologischen Symptomen (Hirn- oder Hirnhautentzündung / Entzündungen des zentralen Nervensystems) kommt es bei weit unter 1 % aller Zeckenstiche (ganz selten). Viel häufiger, aber auch «nur» bei 3 % aller Zeckenstiche kommt es zur Übertragung von Borrelien, die zu einer aktiv ablaufenden Borreliose führt. Statistisch gesehen ist man bei einem Zeckenstich bei über 97 % auf der guten Seite.