Die digitalen Medien können für Kinder Fluch und Segen zugleich sein. Bereits in den Ostschweizer Kindergärten werden sie an diese herangeführt – so verlangt es der Lehrplan. Aber ist es nicht viel zu früh, mit gerade einmal vier Jahren erste Erfahrungen mit Computern und Tablets zu machen?
Mediennutzung im Kindergarten – Sinn oder Unsinn?
Die klassische Wandtafel findet man kaum noch, ebenso wenig eine Kreide oder Kassettenrekorder. Die digitalen Medien gewinnen in der Schullandschaft eine immer höher werdende Bedeutung. Bereits im Kindergartenalter ist die sogenannte Medienpädagogik im Lehrplan verankert. So ist beispielsweise als Lernziel definiert, dass Kindergartenkinder verschiedene Medien benennen und erste Erfahrungen im Bereich der Neuen Medien machen.
Zu diesem Zeitpunkt sind die meisten Kinder vier Jahre alt. Hier sei aber nicht der Zeitpunkt entscheidend, sondern die Art und Weise, wie der Umgang mit Medien vermittelt werde, betont der St. Galler Medienpädagoge Martin Hofmann. «Es geht dabei nicht um spezifische Lerninhalte, sondern darum, einen spielerischen Zugang zur Welt der Medien zu erfahren.»
Kinder kämen ohnehin früh damit in Kontakt – und sollen dies auch dürfen. Denn eben zu diesen Medien gehören auch Bilderbücher, Märchen oder Fotos, sagt der Thurgauer Medienpädagoge Thomas Merz. Auch Filmbeiträge oder Computerspiele, Werbungen und Plakate würden heute zur Medienwelt schon vor dem Kindergarten dazugehören. «Diese Nutzung ist oft sehr konsumorientiert.»
Sobald Kinder über Medien und ihre Chancen, ihre Besonderheiten, ihre Risiken nachdenken und sprechen würden, nutzen sie die Medien auch viel gezielter, so Merz. Dieser Wechsel von einer konsumorientieren Nutzung zu einer aktiven, gezielten Nutzung sei eine wichtige Grundlage für weitere Lernschritte. Merz: «Nur schon genau zuzuhören, Gesichtsausdrücke in einem Bilderbuch zu deuten oder Werbung zu erkennen, können altersgerechte Aufgaben sein.»
Herausfordernde Weiterbildung
Unsere Kinder wachsen mit den digitalen Medien auf. Noch mit dem Nuggi im Mund können viele Kleinkinder locker ein Tablet bedienen – wobei dies vielen älteren Leuten mehr Mühen bereitet. Gerade ältere Lehrpersonen müssen sich hier in einem völlig neuen Umfeld behaupten. Zu ihrer Zeit gab es noch keine Handys, Computer und Tablets. Einen besonders grossen Stellenwert nimmt also die Ausbildung im Bereich der Medienbildung für die Lehrpersonen ein.
«Da Medienbildung und Informatik bisher nicht die notwendige Verbindlichkeit in den Lehrplänen hatte, besteht hier in der Weiterbildung grosser Nachholbedarf», sagt Thomas Merz. Zudem ändere sich die Medienwelt weiterhin in grossem Tempo. Die Aus- und Weiterbildung sowie die Gewährleistung der notwendigen Infrastruktur in den Schulen werden daher ganz sicher eine Herausforderung bleiben, so Merz weiter.
Pädagogische Konzeption
Nicht nur in die Weiterbildung der Lehrpersonen muss investiert werden – auch die Infrastruktur der Schulhäuser wird nach und nach angepasst. Grundsätzlich sei die Schulgemeinde dafür zuständig, dass die Lehrperson das Lernziel für die Schüler erreichen kann. «Dabei gibt der Kanton im Bereich der Infrastruktur Empfehlungen ab – der Schule bleibt es aber schlussendlich überlassen, zu entscheiden, was machbar ist und was nicht», sagt Hofmann.
Zudem dürfen auch die anderen Sinneserfahrungen nicht ausser Acht gelassen werden. «Nach wie vor ist zentral, dass Kinder in diesem Alter mit verschiedenstem Material hantieren, dass sie miteinander spielen, singen, musizieren, ihren Körper erleben, staunen und experimentieren können», sagt Merz. Viele Ziele im Bereich Medienbildung und Informatik liessen sich auch gänzlich ohne Geräte verfolgen. Aber eine sinnvolle pädagogische Konzeption umfasse auch digitale Medien wie Tablets, digitale Filmkameras und Fotoapparate, programmierbare Kleinroboter und Ahnliches. Merz: «Entscheidend ist aber nicht das Gerät, sondern die pädagogische Konzeption: dass also Lehrpersonen kindgerechte Lernsituationen und -gelegenheiten schaffen.»
Professionelle Nutzung
Kinder sollen sich also nach wie vor viel draussen in der Natur aufhalten, zusammen spielen und Sachen entdecken. Experten geben daher in regelmässigen Abständen den Tipp an die Eltern, die Bildschirmzeit zu begrenzen. Doch steht das nicht in einem Widerspruch, wenn doch gerade im Kindergarten und in der Primarschule sie genau an die digitalen Medien herangeführt werden? Der Nachwuchs somit noch mehr Zeit vor Bildschirmen verbringt? Und: Je älter die Kinder werden, umso mehr werden sie in die Nutzung eingebunden. In vielen Klassen ist es beispielsweise gang und gäbe, über Whatsapp-Gruppen zu kommunizieren. «Auf den ersten Blick mag das durchaus widersprüchlich wirken», sagt Hofmann. «Aber die Aufgabe der Schule ist ja nicht einfach, die Schüler zu ‹mehr Medien› zu bringen. Sondern die für die Lebenswelt der Schüler notwendigen Kompetenzen zu vermitteln.» Schüler müssten hingeführt werden, die Medien sinnvoll zu nutzen, sich vertieft und kritisch mit ihnen auseinanderzusetzen, sie zu verstehen, selbst Medien professionell produzieren zu können. «Unser Leben findet heute in einer Welt statt, die durch und durch von digitalen Medien und Geräten geprägt ist. Wer diese Geräte nicht versteht, wer sie nicht nutzen kann, wer nie über die Einflüsse von Medien auf unser Leben nachgedacht hat, versteht die Welt nicht, in der wir leben – und kann sie auch nicht mitgestalten.»