In meinem beruflichen Alltag dreht sich vieles um Integration. Mit Integration ist im Allgemeinen die Herstellung eines Ganzen gemeint oder auch die Eingliederung in etwas Ganzes. Im Bereich der Schule bedeutet dies, dass man für jedes Kind eine Möglichkeit findet, es zu unterrichten. Wir integrieren Kinder mit den unterschiedlichsten Fähigkeiten, aus jeder möglichen familiären Situation und mit den vielseitigsten Lebensgeschichten. Für alle gibt es einen Platz und passende Unterstützungsmöglichkeiten.
Integration als Gewinn
Für die Gesellschaft würde es bedeuten, jeden so anzunehmen, wie er ist, unabhängig irgendwelcher Faktoren. Jeder Mensch würde damit als Teil der Gesellschaft gesehen, der seinen Teil leistet und auch von der Gesellschaft profitieren darf.
Was politisch immer wieder ein Streitpunkt ist, wird in der Schule seit Jahren als hohes Gut erachtet, auch wenn es noch viel zu tun gibt. Durch die Integration entstehen je nach Umfang auch immer Kosten und diese können hoch werden, je nach benötigtem Angebot.
Durch die aktuelle Situation erhält dieses Thema plötzlich eine neue, sehr allgemeine Dimension. Plötzlich werden von allen Seiten her Stimmen laut, die sich gegen die Spaltung der Gesellschaft stellen. Es herrscht Einigkeit darüber, dass wir miteinander und nicht gegeneinander sein sollen und dass der Staat diese Teilhabe, beispielweise mit Gratis-Tests, ermöglichen müsse.
Mich persönlich freut es, dass Einigkeit darüber herrscht, dass wir uns nicht spalten wollen und auch, dass dies von der Gesellschaft mitgetragen wird. Zu verdanken haben wir das wohl der Zertifikatspflicht, welche uns nun vor Augen führt, wie es ist, wenn man von einer Gesellschaft ausgeschlossen wird oder eben nicht.
Man erfährt unter Umständen am eigenen Leib, dass es Ungerechtigkeit gibt, welche man zudem rational nicht verstehen kann und dass dies ein Gefühl der Ohnmacht auslösen kann, was wiederum zu Frust und zu Separation führt.
Genau aus diesem Grund setze ich mich für Integration ein, denn alle Menschen, mit denen ich es bisher zu tun hatte, gaben ihr Bestes. Jeder nach seinen Möglichkeiten und immer auch nach seinen eigenen Idealen strebend. Einigen gelang es besser, anderen wiederum nicht so. Die Wege waren so vielseitig wie wir Menschen.
In dieser Form wünsche ich mir unsere Gesellschaft für meine Kinder. Offen für alle und Respekt für die Entscheidungen von jedem, egal ob man diese versteht, gutheisst oder eben nicht. Es hat Platz für alle Personen und Lebensformen.
Doch klappt das auch über diese Abstimmung und die jetzige Situation hinaus? Ehrlich gesagt glaube ich das nicht, obwohl ich es mir wünschen würde.
Das Thema Integration ist immer auch stark geprägt von der eigenen Situation und daher ein klassisches Streitthema.
Ist man in der privilegierten Situation, geniesst man Freiheiten und hat Möglichkeiten. So kann man gut für Abgrenzungen sein. Diese haben dann keine Konsequenzen für das eigene Leben, weshalb sie oftmals nicht von Interesse sind. Vielleicht schützt es den eigenen Vorteil sogar. Sobald man jedoch selbst in die Position des Ausgegrenzten gerät, beginnt man zu erfahren, wie schwer nachvollziehbar und ungerecht es ist. Der Ruf nach Gleichheit wird dann schnell laut.
Nutzen wir die Chance der Zeit und arbeiten wir an unserem Miteinander.
Dieser Beitrag wurde erstmals im Einsiedler Anzeiger veröffentlicht
Michael Berger ist schulischer Heilpädagoge und Lernberater mit Erfahrung auf allen Schulstufen. Mit seinem Angebot auf www.gezielt-lernen.ch wendet er sich an Eltern, Lehrpersonen und Lehrlingsbetriebe und bietet Unterstützung bei Lernschwierigkeiten an.