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Nur für Hundeohren

Es gibt Kinder, die können sich einfach nicht so recht fürs Lesen begeistern. Abhilfe kann hier ein sogenannter Lesehund schaffen, dem die Kinder ohne Druck einen Text nach Wahl vorlesen können. Die Bibliothek Knonau hat damit positive Erfahrungen gemacht, wie Petra Studer berichtet.

Bild: © eva_blanco/shutterstock.com

Wer nicht oder nicht gut lesen kann, hat Schwierigkeiten, am gesellschaftlichen oder politischen Leben teilzunehmen. Umso wichtiger ist es darum, leseschwachen oder Kindern, denen Lesen einfach keinen Spass macht, eine Lesehilfe zu bieten. Das findet auch Petra Studer von der Schul- und Gemeindebibliothek Knonau im Kanton Zürich. Sie erzählt:

«Bei der Lektüre des Kinderbuchs «Annika und der Lesehund» von Lisa Papp aus dem Baeschlin Verlag, empfand ich den starken Wunsch, so einen Lesehund auch bei uns in der Bibliothek zu haben.»

Erste Erfahrungen mit einem Lesehund hat die Stadtbibliothek Aarau mit dem Leseförderungsprojekt «Nur für Hundeohren» gesammelt. Dieses richtet sich an Kinder im Alter von 7 bis 12 Jahren. Die Kinder kommen fünfmal – am besten einmal wöchentlich – in die Bibliothek, um einem Lesehund, einem ausgebildeten Sozialhund, vorzulesen. Dabei entscheiden die Kinder selbst, welchen Text oder welche Buchpassagen sie dem geduldigen Zuhörer während circa 20 bis 30 Minuten vorlesen wollen.

Nach ersten Abklärungen, ob so ein Lesehund auch in die Bibliothek Knonau kommen könnte, wurde Petra Studer rasch klar, dass dies die finanziellen Möglichkeiten der kleinen Landbibliothek überschreiten würde. Davon liess sie sich aber nicht beirren und liess nicht locker. Wie hat sie den Lesehund trotzdem nach Knonau gebracht. Sie erzählt: «Durch Gespräche und gute Zusammenarbeit mit der Heilpädagogin der Pestalozzi-Stiftung Knonau, die uns mit ihren Schülern regelmässig besuchte. Sie hegte diesen Wunsch auch schon länger und besitzt selbst einen Therapiehund. So haben sich zwei gefunden!»

In der Stadtbibliothek Aarau sassen die Kinder während des Vorlesens beim Hund und durften ihn auch streicheln. Das Ziel dabei war, mit dem Bindungsaufbau zum Hund ein positives Leseerlebnis zu ermöglichen, wie Vanessa Brogli in einer diesbezüglichen Studie der Fachhochschule Graubünden schreibt. Da heisst es weiter: Die Kinder werden beim Vorlesen nicht kritisiert oder verbessert, was zu einer gesteigerten Lesemotivation führt. Zudem werden durch das Vorlesen Ängste und Hemmungen abgebaut, sodass sich auch die Leseflüssigkeit verbessert.

Erzählen Sie, Frau Studer: Wie macht sich der Lesehund in Ihrer Bibliothek?

Mojito gehört bereits einfach dazu, so als wäre er schon immer ein Teil unseres Leseförderungsprogramms gewesen! Das freut mich sehr.

Wie reagierten die Kinder auf den Lesehund?

Die meisten Kinder gehen sehr vertrauensvoll auf Mojito zu und streicheln ihn, was er sehr mag. Dabei ist es besonders wichtig, dass die Heilpädagogin und Hundebesitzerin, Judith Britschgi, auf die Verhaltensregeln und den Umgang mit dem Therapiehund aufmerksam macht.

Gab es auch negative Reaktionen?

Nein, bis anhin überhaupt nicht. Ganz im Gegenteil!

Welche Änderungen im Leseverhalten konnten Sie bei den Kindern beobachten?

Die Eltern berichten, die Kinder hätten mehr Spass am Lesen und ausserhalb der Schule ein positives Leseerlebnis. Die Kinder bauen Ängste und Hemmungen ab und lesen fliessender und freier vor. Das Kind gewinnt an Selbstvertrauen und Sicherheit.

Für den Lesehund ist das Zuhören in gewisser Weise ja Arbeit. Macht es ihm auch Spass?

Judith Britschgi sagt, Mojito merke ganz genau, wenn sie sich auf den Weg nach Knonau machen. Er sei ungeduldig und wollte endlich los. Ist er dann endlich da, kann er es kaum erwarten, bis die Kinder endlich kommen. Fast immer juckt es ihn dann irgendwo in seinem Hundefell, dann muss er sich kratzen. Judith Britschgi sagt, ihn zwicke gar nichts, er sei nur aufgeregt. Während des Vorlesens kann er sich dann in seinem schönen Hundebett gut entspannen. Manchmal nickt er sogar etwas ein, so gut lesen die meisten Kinder vor. Aber mit einem Hundeohr ist er immer präsent und hört gut zu, Hunde-Ehrenwort!

Wie lange und wie oft ist der Lesehund bei Ihnen im Einsatz?

Durchschnittlich einmal im Monat, an einem Mittwochnachmittag während anderthalb Stunden.

Im Knonauer Projekt ist auch der Glarner Baeschlin Verlag involviert. Wie sieht die Zusammenarbeit aus?

Der Verlag hat uns grosszügigerweise mit Plakaten, Buchzeichen und Bonbondosen mit dem Sujet aus dem Buch «Annika und der Lesehund» unterstützt. Letzteres bekommen alle Kinder, die das erste Mal vorlesen, als kleines Andenken an den Lesehund mit auf den Weg. Dann haben wir einen ganzen Karton mit schönen Teetassen mit demselben Sujet geschenkt bekommen. Im Sinne eines Crowdfundings verkaufen wir diese zu einem selbst gewählten Preis. Der Erlös kommt vollumfänglich dem Lesehund zugute.

Was müssen andere Bibliotheken tun, wenn sie ebenfalls einen Lesehund haben wollen? Haben Sie Tipps für Interessierte?

Die gute Zusammenarbeit zwischen Hundebesitzerin und Bibliothekarin scheint mir ganz wichtig. Es müssen dieselben Ziele verfolgt werden. Schön ist, wenn man die Beteiligten des Leseförderungsprogramms «Lesehund» gut entschädigen kann. Der Lesehund soll unbedingt ein ausgebildeter Therapie- oder Schulhund sein.

Die Lesehund-Termine für 2022 waren rasch ausgebucht. Wird das Projekt 2023 fortgeführt?

Ja, sogar noch vergrössert. Wir führen sogar eine Warteliste. 2023 werden mehr Termine angeboten und der Einsatz eines weiteren Lesehundes ist geplant. Weiter möchten wir im Anschluss ans Lesen vertiefende Spiele einführen. Auf eine spielerische Art und Weise sollen die Kinder mithilfe des Lesehundes versuchen, Fragen zum eben gelesenen Text zu beantworten.

Buchtipp

«Annika und der Lesehund» von Lisa Papp

«Lesen ist doof!» Annika ist verzweifelt. Nie bekommt sie einen Sternchen-Sticker für gutes Vorlesen. «Nicht aufgeben», meint die Lehrerin. Aber das macht Annika nur wütend. «Lesen ist doof», erinnert Annika die Bibliothekarin. Nur falls sie es vergessen haben sollte. «Vielleicht hattest du bisher einfach keine besonders guten Zuhörer», sagt diese und stellt dem Mädchen einen grossen, wunderschönen Hund vor. Annika will es versuchen. Und Bonnie erweist sich als perfekte Zuhörerin: geduldig und ohne zu urteilen. So macht Lesen Spass! Auf Anhieb klappt es zwar nicht mit dem Sticker. Doch Annika hat Geduld – genau wie Bonnie.

ISBN-Nr.: 978-3-03893-008-2