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Digitale Wichtel mit Sonnen- und Schattenseiten

Digitales Lernen ist an den Schulen längst zum Alltag geworden. Online-Lernprogramme, Apps oder gar Chat GPT lassen grüssen. Die Vielfalt an Systemen ist mittlerweile gross. Doch die Technik allein macht noch keinen guten Unterricht aus.

Bild: © Ruslan Huzau/shutterstock.com

Als Vater von drei Kindern, die in der Stadt Fribourg die Sekundarschule und das Gymnasium besuchen, ist Andreas Schmid mit der Thematik rund um die Digitalisierung des Unterrichts hautnah konfrontiert. «Die Digitalisierung der Schulen im Kanton Fribourg ist eine Tatsache», erklärt der Präsident der Sektion von Schule und Elternhaus Deutschfreiburg (S&E), «doch jedes Kind muss an den Schulen der Stadt Fribourg derzeit noch seine eigenen Geräte in den Unterricht mitbringen.» Dies im Gegensatz zu gewissen Nachbargemeinden, wo offenbar Versuchsprojekte mit schuleigenen Geräten im Gang sind. Für die Kommunikation zwischen Schülerinnen und Schülern sowie Lehrpersonen arbeite man mit der «Teams»-Software von Microsoft. Dort werden auch Lerninhalte für Hausaufgaben oder Prüfungen abgelegt, wie Andreas Schmid berichtet.

Eltern miteinbeziehen

Dass die Kinder ihre eigenen Geräte, sei es Handy oder Computer, selber zur Verfügung stellen müssen, beurteilt der S&E-Vertreter als Nachteil – vor allem dann, wenn die Kinder noch über keine solchen Geräte verfügen oder technische Probleme auftauchen. Deshalb fordert die S&E-Sektion im Rahmen einer kantonalen Vernehmlassung zur Digitalisierung der Schulen, dass die Schulen den Kindern die Geräte zur Verfügung stellen. Ausserdem macht sich S&E für den Einbezug der Eltern in diesen Prozess stark. «Die Eltern sollten wissen, was genau geplant und wie mit den Geräten umzugehen ist, ganz zu schweigen von der Haftpflicht», betont Andreas Schmid.

Zusätzliche Lernhilfe

Dass die Schule auf digitale Kanäle und Hilfsmittel setzt, ist für Andreas Schmid nur die logische Folge der allgemeinen Digitalisierung der Gesellschaft. «Wir von S&E erachten es als zusätzliche Lernhilfe und wollen nicht darauf verzichten.» Zudem rechnet der Familienvater dadurch mit einer Verbesserung der Kommunikation zwischen Lehrpersonen, Schülerinnen und Schülern und Eltern. Die Coronakrise habe auf dieser Ebene bereits einiges ausgelöst. Im August haben die Primarschulen des Kantons Fribourg die App «Klapp» eingeführt, um die Kommunikation zwischen Lehrpersonen und Eltern zu vereinfachen.

Lerninhalte ins Netz stellen reicht nicht

«Corona war für das digitale Lernen ein Türöffner», sagt Prof. Dr. Tobias Röhl, Dozent für den Bereich «Digital Learning and Teaching» an der Pädagogischen Hochschule Zürich. Die Schulen sahen sich aufgrund der «Lockdowns» gezwungen, den Schülerinnen und Schülern sowie den Lehrpersonen innerhalb kurzer Zeit digitale Lernmittel zur Verfügung zu stellen. Daraus resultierte aber auch die Erkenntnis, dass es nicht reicht, Lerninhalte eins zu eins ins Netz zu stellen oder digital zu vernetzen. «Wer lange vor dem Bildschirm arbeitet, ermüdet schnell. Deshalb braucht es neue Formen, mit digitalen Hilfsmitteln zu arbeiten und zu lernen», gibt Tobias Röhl zu bedenken.

Integraler Bestandteil im Lehrplan 21

In der Definition bedeutet digitales Lernen einerseits den Einsatz von digitalen Medien als Unterstützung für den Schulunterricht, andererseits dass man über digitale Medien lernt. Während beim analogen Lernen (also dem klassischen Schulunterricht) gedruckte Materialien wie etwa Bücher, Arbeitsblätter und Hefte im Mittelpunkt stehen, kommen beim digitalen Lernen PC, Laptop, Tablet oder Smartphone zum Einsatz. Zum einen soll digitales Lernen für einen noch vielseitigeren Zugang zum Lernthema an sich sorgen, zum andern aber auch den Schülerinnen und Schülern die digitalen Medien und deren Funktionen näherbringen. «Das digitale Lernen bereitet die Kinder und Jugendlichen auf jene Welt vor, in der sie heute schon viel mit digitalen Medien zu tun haben – beispielsweise in der Freizeit», erklärt Tobias Röhl. Während die digitalen Medien noch vor fünf oder mehr Jahren an Schulen ein Spezial- bzw. Nischendasein fristeten, sind sie heute in vielen Fächern zu einem integralen Bestandteil geworden. Im Lehrplan 21 findet sich das digitale Lernen in nahezu allen Fächern wieder, selbst im Musik- oder Kunstunterricht.

Eine Vielzahl an Systemen und Apps

  • Welche verschiedenen digitalen Kanäle und Hilfsmittel stehen den Schulen bzw. fürs Lernen zur Verfügung? «Dank der schnellen technischen Entwicklung existieren heute eine Vielzahl von Systemen und Apps», berichtet Tobias Röhl.
  • Adaptive Lernsysteme etwa interagieren mit dem Menschen, die sie bedienen. Sie passen sich an den individuellen Wissensstand des Menschen an und stellen ihm personalisierte Aufgaben und Fragen.
  • Apps vermitteln einen Lerninhalt auf spielerische Weise.
  • Beim Mobile Learning findet das digitale Lernen nicht am Computer, sondern auf einem Mobilgerät, also einem Smartphone oder Tablet, statt.
  • Unter Microlearning versteht man die Aufteilung des Lerninhalts in mehrere kleine Lernhäppchen. In der Folge soll das Kind dadurch motivierter und übersichtlicher Lernen.
  • Beim Videotraining lernt das Kind mit Lernvideos online im eigenen Tempo. Die Videos vereinfachen komplexe Inhalte und können langsam wiederholt werden.
  • Beim Web-based-Training werden die Lerninhalte auf einer Lernplattform wie zum Beispiel Moodle, Microsoft Teams oder Google Classroom zur Verfügung gestellt.
  • Unter einem Webinar versteht man ein Web-Seminar, das als virtueller Vortrag entweder live stattfindet oder aufgezeichnet wird.
  • Im Chat GPT wird die künstliche Intelligenz (KI) zum Beispiel für Projektarbeiten oder Hausaufgaben genutzt.
  • Mithilfe von «Virtual Reality» werden Unterrichtssequenzen mit sogenannten Avataren, also digitalen Lehrpersonen, durchgeführt.
  • Unter «Making» versteht man die Verknüpfung von analogen Materialien mit digitalen Elementen beim Basteln, zum Beispiel mit Mikrochips, Schaltkreisen, 3D-Drucker oder mit der Programmierung einer Stickmaschine.
  • «Flipped Classroom» steht für einen umgedrehten Unterricht. Die Unterrichtsmethode beinhaltet das integrierte Lernen, bei dem die Hausaufgaben und die Stoffvermittlung insofern vertauscht werden, also die Lerninhalte zu Hause von den Schülern erarbeitet werden und die Anwendung im Unterricht geschieht.

Lerntools für die Schule und Zuhause:

  • Antolin – Leseförderung leicht gemacht! Ideal für den Einsatz in der Schule (1.–10. Klasse). Schülerinnen und Schüler können selbstständig zu gelesenen Büchern Fragen beantworten und Punkte sammeln.
  • Quizlet ist eine amerikanische Online-Lernplattform zum Erstellen von Lernsets in Form von Karteikarten.
  • Einmaleins-Trainer: Dieses Tool kann zum Trainieren des Einmaleins verwendet werden. Das macht hier sicher auch viel mehr Spass als in der Schule!

Nicht auf die Technik allein verlassen

Doch mit der Technik allein ist es nicht getan. Die digitalen Lernmedien stehen nicht per se für einen erfolgreichen Schulunterricht, wie Tobias Röhl betont. «Man darf sich nicht auf die Technik verlassen. Die digitalen Medien sind dazu da, die Lehrperson zu unterstützen und den Unterricht anzureichern. Zudem sollten die digitalen Kanäle didaktisch und pädagogisch sinnvoll in den Unterricht eingebettet und somit Bestandteil eines grösseren Konzepts sein.» Laut der Hattie-Studie mit über 800 Meta-Analysen im internationalen Schulumfeld haben digitale Medien einen leicht positiven Effekt auf das Lernen in der Schule. Gleichzeitig zeigte die Studie aber auch, dass die Lehrperson für den Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler zentral ist. «Das digitale Lernen gibt den Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit, sich selbstständig mit Lerninhalten zu beschäftigen. Gleichzeitig gilt es weiterhin, den Austausch mit anderen Schülern oder mit Lehrpersonen zu pflegen», sagt Tobias Röhl. Die digitalen Medien seien somit wertvolle Begleiter für den individuellen Lernprozess.

Kritisches Denken und Hinterfragen

Die Arbeit mit digitalen Lernmedien stehe ferner für einen anderen Umgang mit Wissen. Während früher das sogenannte deklarative Wissen gefördert wurde, gehe es heute immer mehr darum, zu wissen, wo man das Wissen abholen kann. «Dies setzt ein kritisches Denken und Hinterfragen von Informationen voraus, indem Wissen nicht einfach eins zu eins übernommen und gelernt wird», betont Tobias Röhl. Was bedeutet dies für die Lehrpersonen? Sie nehmen beim digitalen Lernen die Rolle der Lernbegleiterin oder des Coaches wahr. Sie fördern den Wissensaustausch untereinander und betten die digitalen Kanäle didaktisch in den Unterricht ein.

Soziale Isolation

Was sind die Vor- und Nachteile des digitalen Lernens? «Werden die digitalen Hilfsmittel falsch eingesetzt, kann dies zu einer Isolation der Schülerinnen und Schüler führen», gibt Tobias Röhl zu bedenken. Grund: Durch das ausschliessliche Lernen am Bildschirm werden die sozialen Beziehungen vernachlässigt. Als weiterer Nachteil nennt der Hochschulprofessor die Gefahr, dass vor allem leistungsstarke Kinder und Jugendliche vom digitalen Lernen profitieren. «Sie kommen mit dem selbstständigen Arbeiten an einem Thema meist besser zurecht als leistungsschwächere Schülerinnen und Schüler.» Deshalb sei es wichtig, dass die Lehrperson die schwächeren Schülerinnen und Schüler zusätzlich unterstützt. Zu den weiteren Risiken des digitalen Lernens gehört die Ablenkung, eine verminderte Konzentrationsfähigkeit und eine mögliche Oberflächlichkeit der Lerninhalte. Zudem warnen viele Lehrer davor, dass praktische und motorische Fähigkeiten vernachlässigt werden. So lässt offenbar zum Beispiel das Schreiben mit Stift und Papier nach oder das Rechnen, da hier häufig das Smartphone als Taschenrechner fungiert.

Unabhängiges Lernen

Natürlich bringt das digitale Lernen auch viele Vorteile mit sich. So ist es ganz egal, wo man lernt – ob zu Hause, im Café oder unterwegs. Wann gelernt wird, ist meist ebenfalls egal. Kinder und Jugendliche lernen ganz schnell und auf spielerische Art und Weise, sich auf dem PC, Laptop, Tablet oder Smartphone zurechtzufinden. Beim digitalen Lernen kann das Lerntempo individuell angepasst werden. Im Gegenteil zu Printmedien und Büchern, die oft veraltet sind, bringt digitales Lernen den Vorteil mit sich, dass die Informationen meist immer wieder aktualisiert und überarbeitet werden. So bleiben die Lernenden immer auf dem aktuellsten Stand und lernen zum Beispiel über aktuelle Auswirkungen des Klimawandels. Die Kommunikation zwischen Schüler und Lehrer, aber auch zwischen Eltern und Lehrer ist dank Messenger-Diensten einfach möglich. Auch diverse Chats oder Videokonferenzen – etwa über Microsoft Teams, Google Classroom – sind unkompliziert zu handhaben.

www.phzh.ch

Kein Ersatz für das Papier!

«Wichtig ist, dass die Methoden so eingesetzt werden, dass es einen Mehrwert für die Schülerinnen und Schüler gibt und nicht einfach Arbeiten am Tablet statt auf dem Papier gelöst werden», betont Gabriela Heimgartner-Leu, Co-Präsidentin Schule & Elternhaus Schweiz. Als Vorteil nennt die Lerncoachin und Erwachsenenbildnerin die Möglichkeit, Aufgaben individuell zusammenzustellen und bei Fehlern unmittelbar die korrekte Lösung zu erhalten. «Dadurch werden die richtigen Antworten besser im Gehirn gespeichert.» Das digitale Lernen sei zudem eine ergänzende Form für das Automatisieren von Grundkompetenzen beispielsweise im Rechnen oder Schreiben.

Schule und Elternhaus Schweiz setzt sich unter anderem dafür ein, dass in der obligatorischen Schule den Schulkindern die nötigen Geräte zur Verfügung gestellt werden.

www.schule-elternhaus.ch