Stellen Sie sich eine Welt vor, in der sich jedes Kind zu Hause in seinem Körper fühlt und auf seine Körper-Innensteuerung vertraut. Was können wir Eltern tun, um dieser Vorstellung ein Stück näher zu kommen?
Körperliebe in Zeiten der Diätkultur
Als ich selbst Mutter wurde, durfte ich beobachten, wie völlig unbeeindruckt mein Baby davon ist, was die Welt über es denkt.
Ich erinnere mich noch gut an unsere ersten Nächte: Energisch teilte mein Sohn mir mit, wann er hungrig war. Sobald sein Bäuchlein gefüllt war, schlummerte mein milchtrunkenes Baby auf meiner Brust wieder ein. Und jetzt als Kleinkind bewegt er sich mit absoluter Freiheit. Er schaut niemals auf seinen Bauch herab und denkt sich, er müsste ihn trainieren oder einziehen. Er schätzt seinen Körper für das, was er mit ihm tun kann. Das erfüllt mich mit Bewunderung und Freude. Manchmal, wenn ich ihn so beobachte, spüre ich aber auch Wut in mir aufkommen, bei dem Gedanken, dass irgendjemand oder irgendetwas ihm jemals das Gefühl geben könnte, auch nur einen Hauch weniger als absolut richtig zu sein.
Von Disney-Prinzessinnen und Diätbotschaften
Die Botschaften, die uns sagen, dass unser Körper ein Problem ist, sind jedoch überall, und unsere Kinder sind dagegen nicht immun. Die Botschaften sind nicht nur im Fernsehen, in Zeitschriften oder in den sozialen Medien; sie sind zu Hause, in der Schule und auch auf dem Spielplatz. Von den Disney-Prinzessinnen, die alle denselben Körpertyp haben, bis zum Diätgespräch der Eltern auf dem Spielplatz. Von den vereinfachten Ernährungslektionen, die Kindern sagen, dass manches Essen gut und manches schlecht ist, bis hin zu den Filtern, die schon Jugendliche auf ihren Social-Media-Fotos anwenden. Ich möchte, dass mein Kind – und alle anderen – immer das Gefühl haben, genug zu sein, so wie sie sind. Also machte ich mich auf eine Reise, um zu versuchen, den besten Weg zu finden, um ein körperpositives Kind grosszuziehen und einige der Botschaften aufzuheben, die auch ich ein Leben lang gelernt hatte.
Passt mein Kind und sein Körper in das gesellschaftliche Bild?
Je mehr ich mich auch mit anderen Eltern darüber austauschte, desto klarer wurde mir, dass all diese Botschaften rund um Körper, Essen und Gesundheit für uns alle verwirrend sind. Einerseits möchten wir, dass unsere Kinder selbstbewusst mit ihrem Körper aufwachsen, andererseits sorgen wir uns über die Botschaften, die wir aus der Gesellschaft erhalten, wie Gesundheit aussehen sollte und ob unser Kind da reinpasst?
Wir hören regelmässig von der steigenden Zahl von Übergewicht bei Kindern und den Gefahren von zuckerhaltigen Lebensmitteln. Aber sind wir uns auch bewusst, dass sich die Zahl der Teenager, die wegen Magersucht behandelt werden, im letzten Jahrzehnt verdoppelt hat und dass jedes fünfte Mädchen im Unterricht die Hand nicht hebt, aus Angst, wegen seines Aussehens beurteilt zu werden? Ein negatives Körperbild zu haben, ist ein Gesundheitsproblem. Und es ist genauso schwerwiegend wie andere Gesundheitsprobleme.
Wenn wir es jedoch schaffen, unseren Kindern ein gutes Gefühl für ihren Körper zu vermitteln, so wie er jetzt ist, wird dies einen direkten Einfluss darauf haben, wie sie mit ihrem Körper umgehen.
Über Chancen der Körperliebe
Dafür ist es entscheidend, dass wir Kinder grossziehen, die kritisch über einschränkende Schönheitsideale nachdenken können. Ihr Gewinn dabei? Unfaire Annahmen, Äusserungen oder Darstellungen darüber, dass bestimmte körperliche Eigenschaften besser als andere sind, durchschauen sie und tragen so zu einer gerechteren und inklusiveren Welt für sich selbst und andere bei. Es geht aber nicht nur darum, Kinder und Jugendliche zu fördern, die selbstsicher für sich und andere einstehen. Es geht darum, unseren Kindern jetzt die Chance zu geben, ihren Körper weiterhin aus purer Freude zu bewegen, so wie sie es als Kleinkinder tun. Es geht darum, unseren Kindern die Chance zu geben, sich in der Schule zu entfalten und an Aktivitäten teilzunehmen, die ihnen Freude bereiten, auch wenn sie nicht wie die Berühmtheiten aussehen, die sie bewundern oder einen Körper haben, der dem Bild von Gesundheit entspricht, das uns oft präsentiert wird. Und es geht auch darum, Kinder grosszuziehen, die andere nicht aufgrund ihres Aussehens beurteilen.
Wie können Eltern schon früh den Grundstein für ein gesundes Körperbild und -gefühl legen?
Dazu ist es wichtig, Kinder in ihrem Körperbewusstsein und ihrer Körperautonomie zu stärken.
Jeder Körper ist ein guter Körper
Einer der wichtigsten Werte, den wir unseren Kindern vermitteln können, ist, dass jeder Körper ein guter Körper ist. Wir Eltern dürfen natürliche Wege finden, um Körpervielfalt regelmässig hervorzuheben. Es soll kein grosses Gespräch sein – viel besser ist, die vielen kleinen Alltagsmomente und Beobachtungen zu nutzen. Zum Beispiel: «Wow, siehst du die vielen verschiedenen Pflanzen? Unterschiedliche Farben, Formen und Grös-sen. Genau wie bei uns Menschen.»
Vielfalt gibt es in der Natur zuhauf. Es ist für uns alle normal, dass Vielfalt vorhanden ist. Die Bulldogge sollte nie so aussehen wie der Dalmatiner, logisch, oder? Wenn es aber um Menschen geht, tendieren wir dazu zu denken, dass wir alle auf eine bestimmte Art und Weise aussehen sollten. Das ist jedoch völlig unrealistisch, dies beweist ein neutraler Blick ins Schwimmbad. Da gibt es nämlich wunderbare Körper in den verschiedensten Formen.
Körperdiversität fängt jedoch nicht erst bei den Erwachsenen an. Auch Kinder unterscheiden sich schon stark in Körperform, -grösse und -gewicht. Wir dürfen als Gesellschaft akzeptieren, dass Kinder die verschiedensten Körperformen haben.
Die Sorge von uns Eltern, dass unser Kind eventuell nicht in das Bild des «Normkörpers» reinpasst und somit Spott und Diskriminierung ausgesetzt ist, ist legitim. Die Lösung ist aber nicht, zu versuchen, den Körper des Kindes zu verändern. Dieser Versuch schadet mehr, als er nützt. Der beste Weg, unser Kind zu schützen, ist, sein Körpervertrauen aufzubauen und bedingungslose Körperakzeptanz vorzuleben. Wir dürfen unseren Kindern beibringen, dass ihr angeborener Wert als Mensch nicht an ihr Gewicht oder das Aussehen gebunden ist. Verpflichten wir uns selbst dazu, die Tatsache zu feiern, dass es uns Menschen in den verschiedensten Formen und Grössen gibt. Diese Haltung kann tatsächlich dazu beitragen, Körperscham, die schon mehrere Generationen besteht, zu durchbrechen. Unsere Kinder lernen so, sich um sich und ihren Körper zu kümmern, egal mit welcher Grösse oder Gewicht.
Körperautonomie: Kleine Bäuchlein in der Verantwortung
Von vielen Eltern höre ich immer wieder den Wunsch, dass ihr Kind auf seine Innensteuerung vertrauen kann. Dass es eine Beziehung zum Essen und Körper pflegen kann, die auf Vertrauen und Freude basiert. Hier kommt ein weiterer wichtiger Wert zum Tragen: Lebensmittelneutralität. Lebensmittelneutralität hilft Kindern, eine flexible und angstfreie Einstellung gegenüber Essen und ihrem Körper zu entwickeln. Es ist die Haltung, dass jedes Lebensmittel in der Familienküche willkommen ist. Unsere Aufgabe als Eltern ist es, unseren Kindern vorzuleben, dass alle Lebensmittel in eine abwechslungsreiche Ernährung passen. Dabei übernehmen wir Eltern die Verantwortung, was, wann und wo gegessen wird. Im Gegenzug vertrauen wir darauf, was unser Kind sich davon aussucht und wie viel es davon isst.
Das braucht viel Vertrauen, ich weiss. Vertrauen, dass unser Kind seinen Hunger und Appetit am besten kennt und auf eine Weise isst und wächst, die gut für es ist. Vertrauen, dass unser Kind lernt und als Esser:in wachsen will. Vertrauen, dass unser Kind Vielfalt in seiner Ernährung nach und nach erweitern wird. So können wir Kinder grossziehen, die mehr auf ihr Inneres als auf das Aussen hören. Mit dem dahinterstehenden Wert, dass jeder Mensch, noch so klein, der oder die Expert:in für den eigenen Körper ist.
Wie Sie sehen, können Eltern tatsächlich viel zu einem positiven Körperbild und gesundem Körpergefühl ihres Kindes beitragen. Es ist unheimlich wichtig, dass unsere Kinder es zulassen können, dass ihr Körper wächst, sich verändert und Raum einnimmt – ohne dass wir unsere Erwachsenen-Zuschreibungen oder unsere eigenen Vorurteile bezüglich Körper und Essen, die sehr wahrscheinlich generationenalt sind, auf sie übertragen.
Das ist keine leichte Aufgabe und geschieht bei vielen nicht über Nacht. Es geht auch nicht darum, ein «perfektes Aussöhnen» mit dem eigenen Körper und Essverhalten zu erreichen. Es geht darum, loszugehen. So können wir uns zum Beispiel selbst fragen, wo und wann wir gelernt haben, unseren Körper und unser Essen zu beurteilen? All das ist ein Prozess. Zu wissen, dass die Arbeit an unserem eigenen Körperbild unseren Kindern helfen kann, könnte vielleicht der Schub sein, den wir für diese Herausforderung benötigen.