Im Falle einer Scheidung oder Trennung sind häufig die Kinder die Leidtragenden. Diese Erfahrung macht der St.Galler Kinderanwalt Christof Bläsi zuhauf. Er fordert deshalb, dass die Kinder mehr in die Entscheidungen miteinbezogen werden, wenn es um wichtige Fragen in ihrem Leben geht.
«Die Kinder müssen ernst genommen werden»
Ein Junge will nach der Trennung der Eltern bei seinem Vater leben – die Mutter möchte dies jedoch nicht. Es wird sich ein jahrelanger Rechtsstreit geliefert, fast nichts ausgelassen, dem Gegenüber nichts geschenkt. Die Fronten sind so verhärtet, dass an ein normales Gespräch nicht mehr zu denken ist. Die gemeinsamen Kinder fungieren zum Pinpongball, sie müssen die Situation Tag für Tag aushalten. Mit teilweise schwerwiegenden Folgen in der schulischen Leistung, in ihrer Seele, in ihrem Befinden. Welche Wünsche oder Ansichten die Kinder dabei haben, zum Beispiel bei wem sie wohnen wollen – dem wird auch in der heutigen Zeit noch viel zu wenig Beachtung geschenkt, findet der St. Galler Kinderanwalt Christof Bläsi. «Sogenannte Kindesanhörungen, also Gespräche, bei welchen das Kind sagen kann, was es denkt und will, werden oftmals zu wenig durchgeführt – oder die Aussagen der Kinder werden zu wenig gewichtet.» Kinder können in den meisten Fällen ihren Willen vernünftig weitergeben.
In vielen Fällen wird ein Kinderanwalt nicht von den Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden (KESB) oder den Verwaltungsbehörden eingesetzt, sondern die Kindesvertretung durch die Kinder und Jugendlichen selbst beantragt. Und falls eine Kindesanhörung gemacht wird, dann passiert das häufig zu spät in einem Verfahren. Dabei sei es wichtig, den Wunsch und den Willen eines Kindes frühzeitig wahrzunehmen, so Bläsi. «Die Kinder müssen ernst genommen werden. Wir müssen uns die Frage stellen, wie wichtig uns Kinderrechte sind?» Teilweise würden die Verfahren auch zu lange dauern. Eine Lösung sei beispielsweise, dass die KESB und die Gerichte mehr Ressourcen erhalten, um Kinderrechte im vollen Umfang umsetzen zu können. «Es müssten standardisierte Vorgehensweisen geschaffen werden, damit die Kinder an den sie betreffenden Verfahren aktiv mitwirken können. Für diese Mitwirkung braucht es qualifizierte Kindesvertretungen», so Bläsi weiter.
Denn sein Berufsalltag zeige: Sind Eltern zerstritten, gäbe es kein Patentrezept. Zwar könne eine Mediation angeordnet werden. «Doch dass beide Parteien ein gemeinsames Gespräch wollen, ist meist eine Illusion», so Bläsi. Kinder müssten sich teilweise monate- oder gar jahrelang gegen die eigene Mutter oder den Vater auflehnen. In vielen Fällen des Kinderanwalts geht es um ein strittiges Besuchsrecht – die Eltern können sich nicht an die gerichtlich festgelegte Regelung halten. Die Streitereien der Eltern wirken sich auf das Kind aus, aufgrund dessen wird für das Kind eine Psychotherapie angeordnet. «Dabei haben doch die Eltern das Problem – und nicht das Kind.»