Gewusst? Gamen kann auch positive Seiten haben! Kinder können vom Gamen nämlich sogar profitieren – wir sagen wie.
Die Sonnenseiten des Gamens
Problemorientierte Vorstellungen von Games und vom Gamen sind kein Einzelfall. Viele Eltern, aber auch Lehrpersonen kommen gar nicht auf die Idee, dass Games auch positive Seiten haben könnten. Das ist jedoch nicht weiter verwunderlich, denn sie werden ja meist nur mit den «Problemthemen» rund ums Gamen konfrontiert – und das gleich doppelt: einerseits zu Hause, bei der ewigen Streiterei um Gamezeiten, Einhaltung von Regeln und der Kontrolle von allen möglichen Inhalten und Plattformen. Und andererseits in den Medien: Vom Ratgeber bis zum Zeitungsartikel wird der Schwerpunkt nach wie vor auf die potenziellen Gefahren des Gamens gelegt. Es kommen Psychiater und Sozialarbeiter zu Wort, die sich schon von Berufes wegen hauptsächlich mit den negativen Aspekten des Gamens auseinandersetzen.
Solche unerfreulichen Begegnungen mit dem Thema schrecken natürlich ab. Und sie führen zu einer Abwehrhaltung gegenüber Videogames. Fakt ist: Bei den allermeisten Gamern führt das Gamen weder zu irgendwelchen Schädigungen noch zu Sucht oder anderen dramatischen Begleiterscheinungen. Mit dem ständigen Fokus auf Extremfälle kommen die unauffälligen, gesunden und glücklichen Gamer aber zu kurz und es entsteht ein verschobenes Bild. Eltern beginnen, Probleme zu sehen, wo keine sind, und behindern dadurch ihre Kinder beim Erlernen eines kompetenten und gesunden Umgangs mit Games.
Das Dilemma: Viele Eltern haben ein Problem mit dem Gamen, die meisten Kinder aber haben ein Problem ohne Gamen. Letzteres kann man nicht ändern, ersteres schon. Wenn Eltern sehen, dass Games nicht nur eine Quelle des Ärgers sind, sondern auch ihre guten Seiten haben und sogar richtig nützlich sein können, dann mindert das ihre Abwehrhaltung. Was man kennt, macht weniger Angst. Und dann öffnet sich der Fokus von einem problemorientierten hin zu einem chancenorientierten.
Vom Gamen profitieren – ganz nebenbei
Dass die guten Seiten von Games oftmals etwas untergehen, hat sicher auch damit zu tun, dass sie sich meistens ganz nebenbei und eher zufällig ergeben. Also ohne dass sie das eigentliche Ziel sind. Das Nützliche, die Benefits und die Lerngewinne sind immer nur Nebeneffekte des Gamens.
Genau das ist eben auch die grosse Chance von Computerspielen: Man kann beim Gamen Fähigkeiten erlangen, die man zwar nicht gezielt sucht, die für den Spielerfolg aber notwendig sind.
Was das für Fähigkeiten sind? Lassen Sie mich einige Beispiele nennen:
Übung macht den Meister. Und durch das wiederholte Spiel trainieren Gamer automatisch Dinge wie Motorik, Koordination und Reaktion. Bestimmte Bewegungen oder Tastenkombinationen führen Gamer tausendfach durch. Das macht sie extrem fingerfertig und flink. Haben Sie da mal zugeschaut, wie blitzschnell Ihr Kind Tastatur, Maus oder Gamepad bedienen kann?
Eine weitere Voraussetzung, um möglichst schnell und effizient zu spielen, ist das Multitasking. Gamer müssen parallel zum Kämpfen noch chatten, Sachen produzieren, Truppen entwickeln und so weiter. Das gleichzeitige Erledigen verschiedenster Aufgaben ist eine zentrale Voraussetzung für den Spielerfolg – Gamer perfektionieren diese Fähigkeit deshalb automatisch.
Gamer wissen mehr, denn Computerspiele basieren oft auf historischen, technischen oder wirtschaftlichen Fakten. Gamer verinnerlichen dieses Wissen beim Spielen und können es im Alltag abrufen, zum Beispiel in der Schule. Ausserdem erlangen Gamer ganz nebenbei einen eindrücklichen englischen Wortschatz, weil viele Spiele in englischer Sprache sind und auf den meisten Spiel-Plattformen auf Englisch kommuniziert wird.
Kreativität ist der Motor für den Fortschritt und den Fortbestand unserer Gesellschaft, in welcher laufend neue Probleme gelöst und neue Wege beschritten werden müssen. Dasselbe gilt für Videogames. Und dabei muss man zum Teil recht kreativ vorgehen. Diese Suche nach einer besonders originellen Lösung stärkt zweifelsohne die Vorstellungskraft der Gamer.
Beim Gamen kann man auch im Persönlichen und Zwischenmenschlichen so einiges profitieren.
Im Game treibt man ja eine Geschichte voran, die ziemlich sicher ein Happy End haben wird – zumindest nach einigen Versuchen. Und solche Erfolge im Spiel wirken sich dann natürlich auch positiv auf das Selbstbewusstsein aus. Einige Gamer trauen sich deshalb dann auch im Alltag bestimmte Dinge eher zu und treten zum Beispiel im Umgang mit anderen Leuten selbstsicherer auf.
Und wo wir gerade dabei sind: Videogames sind einer von vielen Kanälen, über die Kinder und Jugendliche Kontakte zu Gleichaltrigen und Gleichgesinnten knüpfen. Für erfahrene Gamer ist der Austausch mit Freundinnen und Freunden über Multiplayer-Spiele oftmals genauso wichtig wie Unterhaltung oder Entspannung. Sie suchen Austausch, Zugehörigkeit und Anerkennung.
Diese Anerkennung gibt es zum Beispiel durch Spielerfolge. Der Schlüssel zum Erfolg heisst Teamspirit. Wer in Online-Wettkämpfen reüssieren will, benötigt neben spielbezogenen Fähigkeiten auch soziale Skills. Die Teammitglieder müssen sich optimal aufeinander abstimmen und ihre Kommunikation perfektionieren. Gamer lernen in solchen Teams, wie wichtig es ist, dass man sich gegenseitig motiviert und das Zusammenspiel möglichst gut koordiniert.
Die positiven Effekte stärken, die Risiken mindern
Ich habe den Fokus in diesem Artikel bewusst auf die guten Seiten des Gamens gerichtet. Diese kommen, wie eingangs erwähnt, meistens zu kurz. Aber natürlich sind Games nicht immer nur gut. Sie sind aber eben genauso nicht immer nur schlecht. Entscheidend ist, was Kinder und Jugendliche aus den Games machen.
Kinder und Jugendliche müssen in unserer Gesellschaft ja lernen, mit allen möglichen Umweltreizen vernünftig umzugehen. Wir trauen ihnen das auch zu. Wieso also soll das nicht auch fürs Gamen gelten?
Ihr Kind ist den Games alles andere als schutzlos ausgeliefert. Denn ob und wie es ein Videogame nutzt, hat es selbst in der Hand; das wird nicht durch das Spiel vorgegeben. Es wird nicht einfach in ein Spiel hineingezogen und passiv berieselt. Es bestimmt aktiv über den Fortgang oder den Abbruch des Spiels. Ich nenne das jeweils die «Ohnmacht der Spiele».
Zwar ist es wichtig, wie ein Game inhaltlich daherkommt und wie es präsentiert wird. Aber letztlich sind es die Eigenschaften Ihres Kindes, die bestimmen, was das Game bei ihm auslöst. Das beginnt bereits vor dem Anschalten des Computers, der Konsole oder des Smartphones: Zum einen sind die persönlichen Vorlieben die Grundlage für die Auswahl eines bestimmten Games. Zum andern bestimmen seine individuellen Fähigkeiten während und nach der Nutzung, wie das Spiel wirkt und was es auslöst.
Erfahrene Gamer, die das Spielen ergänzend zu anderen Aktivitäten in ihren Alltag einbetten, laufen weniger Gefahr, negativ von diesen oder jenen Spielinhalten beeinflusst zu werden. Sie nehmen das aus den Games mit, was ihnen guttut und vermeiden, was ihnen schadet. Halten wir uns das vor Augen, dann gibt uns das Sicherheit und Vertrauen im Umgang mit unseren gamenden Kindern.
Unsere Aufgabe als Eltern ist es, unseren Kindern die nötigen Leitplanken und ein stabiles Umfeld zu bieten. Den Rest machen sie selber; sie müssen sich einen reflektierten Umgang mit Games selber erarbeiten dürfen.
Zur Person
Florian Lippuner ist Vater von zwei Söhnen und wohnt mit seiner Familie in der Agglomeration von Zürich. Er ist ein passionierter Gamer und hat in seiner Jugend selber ausgiebig gespielt.
Er hat an der Universität Zürich Publizistikwissenschaft studiert. In seiner Doktorarbeit «Das Biografiespiel» hat er die zahlreichen Verbindungen zwischen den Biografien von jungen Gamern und ihrer Computerspielnutzung aufgezeigt.
Neben seiner wissenschaftlichen Tätigkeit hält Florian Lippuner regelmässig Referate an Elternabenden und in der Erwachsenenbildung. Er bietet zudem Beratungen an für Eltern mit spielenden Kindern, aber auch für Lehrpersonen, Schulsozialarbeiter:innen und Schulpsycholog:innen.
Weitere Informationen und Anmeldung via gameflow.ch