Sie agieren meist im Verborgenen: Kinder und Jugendliche, die zu Hause einen kranken Elternteil, betagte Grosseltern oder beeinträchtigte Geschwister pflegen oder betreuen. Knapp acht Prozent aller Kinder zwischen zehn und fünfzehn Jahren sind «Young Carer», junge Pflegende. Donnerstag, 20. September 2018, 20.05 Uhr, SRF 1
«DOK-Sendung»: Schwere Last auf schmalen Schultern – Wenn Kinder Angehörige pflegen
Die DOK-Sendung gibt diesen jungen Pflegerinnen und Pflegern ein Gesicht: Die Mutter der zwölfjährigen Sarah Ketterer leidet unter rheumatoider Arthritis – eine Erkrankung der Gelenke, die schubweise verläuft und heftige Schmerzen verursacht. Wenn es ihrer Mutter schlecht geht, kümmert sich Sarah um den Haushalt, richtet Medikamente und hilft bei der Körperpflege. Viel Arbeit für eine Zwölfjährige. Doch viel schwerer trägt Sarah an der Sorge um die Mutter: «Ist Mami noch da oder im Spital, wenn ich aufwache oder von der Schule nach Hause komme?» Dieser Gedanke begleitet Sarah durch den Tag und lässt sie in der Nacht schlecht schlafen.
«Young Carer» agieren meist im Verborgenen. Die betroffenen Kinder wollen ihre Familien schützen und erzählen aus Scham oder Angst vor Einmischung Aussenstehenden nichts von ihrer belastenden Situation. Auch die Lehrer von Anja, 28, wussten nicht, warum deren schulische Leistungen nach dem Wechsel in die Oberstufe immer schlechter wurden, warum der Teenager sich mehr und mehr zurückzog. Denn Anjas Mutter war an Hepatitis C erkrankt. Nach erfolglosen Therapien verlor die 39-jährige Mutter dreier Kinder ihren Lebensmut und wurde depressiv. Anja versorgte an ihrer Stelle die Familie, kochte, putzte und übernahm, so gut es ging, die Mutterrolle für die kleine Schwester. Diese Erfahrung habe ihr ihre äussersten persönlichen Grenzen aufgezeigt – «Grenzen, die man eigentlich gar nicht kennenlernen möchte», erzählt Anja «DOK»-Autorin Helen Arnet.
«’Young Carers‘ wollen nicht als Opfer gesehen werden. Sie wollen unsere Wertschätzung und unser Verständnis», sagt Agnes Leu, Leiterin des Forschungsprogramms Young Carers. Um den betroffenen Kindern und Jugendlichen den Rücken stärken zu können, müssen Lehrpersonen, Lehrmeister, Ärzte und Pflegende erst einmal für die Thematik sensibilisiert sein. Denn nur so können diese Fachpersonen das Gespräch mit den jungen Pflegenden suchen, die oftmals negativ auffallen, indem sie zu spät kommen, übermüdet und unkonzentriert sind. «Es braucht dringend politische und gesellschaftliche Massnahmen, damit ‚Young Carers‘ in Schule, Ausbildung und Beruf unterstützt werden können», sagt Agnes Leu, deren oberstes Ziel die Chancengleichheit für «Young Carers» ist. Mit einer grossen Onlinebefragung, die erstmals verlässliche Daten über pflegende Kinder und Jugendliche liefert, ist ein erster Schritt in diese Richtung getan.
Auch Joël Fehr, 15, aus Flamatt ist «Young Carer», seit er denken kann: Sein älterer Bruder Alain, 17, und sein jüngerer Bruder Olivier, 10, haben beide das Down-Syndrom. «Ich will, dass meine beiden behinderten Brüder genauso auf ihre Kosten kommen wie ich.», sagt Joël. Darum nimmt er seinen älteren Bruder Alain mit in den Schwimmclub und spielt mit ihm Klavier. Er betreut die Brüder, wann immer seine Eltern Unterstützung brauchen. Dass er dabei auch Windeln wechselt, Essen eingibt und bei der Körperpflege hilft, ist für «Young Carer» Joël eine Selbstverständlichkeit.