Michel Fornasier kam ohne rechte Hand auf die Welt. Der 43-Jährige trägt heute eine moderne bionische Handprothese, die ihm neue Möglichkeiten im Leben eröffnet. Mit seiner Stiftung «Give CHILDREN a Hand» und seinem Superhelden Bionicman möchte er den Kindern Mut machen, mit ihrer Besonderheit offen, mutig und ohne Scham umzugehen.
«Gemeinsam stark für Kinder»
Michel Fornasier, Sie wurden ohne rechte Hand geboren. Als wie gross würden Sie dieses Handicap beschreiben?
Meine fehlende Hand ist zwar kein schweres Handicap, aber es ist ein sehr sichtbares. Lange Zeit habe ich es versteckt. Genau genommen war mir die fehlende Hand ganze 35 Jahre meines Lebens unangenehm. Besonders als Teenager war es mir peinlich, keine rechte Hand zu haben. Im Freibad zum Beispiel hatte ich immer das Gefühl, alle Menschen würden mich anstarren. In Wahrheit wurde vielleicht gar nicht geschaut. Meine gute Kollegin Romina, die ohne linke Hand zur Welt gekommen ist, hatte nie Schamgefühle. Dafür bewundere ich sie. Ich selber brauchte ganze 35 Jahre, um diese Scham abzulegen.
Was sind Ihre Erinnerungen an Ihre Kindheit?
Ich wuchs sehr behütet und geborgen mit einem jüngeren, zweihändigen Bruder im Freiburgerland auf. Sehr wichtig für meine Entwicklung war, dass unsere Eltern keine Unterschiede zwischen uns Kindern gemacht haben und uns genau gleich erzogen haben. Also mit der gleichen Milde und manchmal auch Strenge. Und meiner Meinung nach sollte dies auch so sein. Menschen mit einem Handicap wie einer fehlenden Hand, einem fehlenden Bein oder im Rollstuhl sind Mitmenschen und sollten inkludiert werden.
Was konnten Sie ohne rechte Hand alles nicht tun oder war für Sie viel schwieriger als für andere Kinder?
Da gibt es natürlich einiges, was ich nicht oder nur erschwert tun konnte. Beispielsweise Gerätturnen. Dies ist mit einer Hand ziemlich schwierig.
Bei anderen Dingen hatte ich einfach länger, bis ich es beherrschte. Schuhe selber binden war so eine Sache. Umso stolzer lief ich dann als 12-Jähriger zu meiner Mutter, um ihr mitzuteilen, dass ich in Zukunft keine Schuhe mit Klettverschluss mehr brauchte. Solche Dinge waren für mich immer ein Stück Freiheit, welche ich mir erkämpft habe.
Wie erlebten Sie die Schulzeit?
Die Schulzeit erlebte ich im Prinzip wie andere Kinder auch. Aber es gab auch schwierige Situationen. Zum Beispiel ein Basketballturnier mit einer Aufnahmeprüfung, um von einem Team aufgenommen zu werden. Ich war damals mit 14 Jahren ein grosser NBA- und Basketball-Fan und radelte mit dem Velo begeistert zu diesem Test. Bereits beim Eintreffen wurde mir gesagt, dass ich mit nur einer Hand nicht teilnehmen könne, weil wir nicht bei den Paralympischen Spielen wären. Dies war damals wie ein Schlag ins Gesicht für mich. Ich fühlte mich diskriminiert, weil ich nicht die Chance erhielt, den Test zu absolvieren. Als Teenager, der seinen Platz in der Gesellschaft noch sucht, war dies natürlich doppelt belastend.
Wie war die Berufswahl? Hätten Sie einen anderen Beruf erlernt, seit wann tragen Sie eine Prothese?
Meine aktuelle, bionische Handprothese trage ich seit knapp fünf Jahren und dies ist ein grosses Privileg. In der Schweiz gibt es zwölf Träger dieses Models. Da ich die Technik im Inneren so faszinierend finde, habe ich mich für einen durchsichtigen Protheseüberzug entschieden. Neulich meinte eine gute Freundin, die als Künstlerin tätig ist, dass meine Hand so ästhetisch aussehe, dass sie ohne Probleme im «Museum of Modern Art» in New York ausgestellt werden könnte.
Welche Möglichkeiten eröffnet Ihnen diese Hightech-Hand?
Dieses Model ist im Moment das Modernste, was es an bionische Handprothesen gibt, und deckt rund 15 Prozent der Fähigkeiten einer menschlichen Hand ab. Es gibt also durchaus noch Luft nach oben. Mit einer Hand einen Ball zu werfen, ist an sich etwas Einfaches. Ich habe mit der bionischen Prothese sieben Monate geübt, bis mir dies gelang. Die Handprothese eröffnet mir neue Möglichkeiten, wie beispielsweise das Halten von Essbesteck oder des Velolenkers, was meine Sicherheit im Strassenverkehr erhöht. Da ich im Alltag lange Zeit alles «mit links» machte, gibt es noch heute Dinge, wie zum Beispiel das Binden von Schuhen, was mir ohne Handprothese leichter fällt.
Was nicht vergessen werden darf, ist die Tatsache, dass diese Handprothese immer wieder aufgeladen werden muss. Es braucht acht Stunden Ladezeit, damit ich sie drei bis vier Stunden einsetzen kann. Einmal stand ich im Tram in Zürich, hielt mich am Bügel fest und auf einmal war der Akku meiner Prothese leer. Es war nicht einfach, die Handprothese, in diesem Zustand, vom Bügel zu lösen. Die Hand mit ihrer ganzen Technik ist mit drei Kilogramm kein Leichtgewicht. Eigentlich mehr eine Hantel als eine Hand.
Vor zwei Jahren haben Sie die Charity-Organisation «Give CHILDREN a Hand» gegründet. Wofür setzt sich diese Organisation ein?
Unsere Vision, ist Handprothesen für Kinder herzustellen, die spielerisch daherkommen. Wir nennen sie Zauberhände. Grossen Werten legen wir darauf, dass diese «Prothesen» bunt und leuchtend aussehen, wie ein Spielzeug und nicht wie eine Nachbildung einer menschlichen Hand. So möchten wir die Berührungsängste der Kinder für Prothesen verringern. Jedes Kind designt dabei seine Handprothese selbst. Dabei steht bei den Mädchen der Disneyfilm «Die Eiskönigin» hoch im Kurs, bei den Jungen sind es eher Superhelden oder Sportvereine. Eine solche Zauberhand kostet zwischen 500 und 1000 Franken, je nachdem, wie viel Glitzer verarbeitet wurde. Damit können die Kinder Velo und Skif ahren, klettern oder Stand-up-Paddeln, da die Zauberhände 100 % wasserdichte sind.
Gleichzeitig bieten diese Hände den Kindern auch eine Art Schutzschild, das ihr Selbstwertgefühl stärkt und sie vor Mobbing schützt.
Sie sind zum Superhelden Bionicman geworden. Wie würden Sie diesen Superhelden beschreiben?
Bionicman ist ein Superheld auf Augenhöhe und die Galionsfigur von «Give CHILDREN a Hand». Er möchte den Kindern helfen und ihnen Hand bieten. So besucht er auf seiner «Rise & be Nice Tour» Schulen, Kinderspitäler und Sportcamps. Motiviert Kinder auf eine spielerische Art (Edutainment) zu mehr Menschlichkeit und Akzeptanz. Die Kinder erfahren, dass jeder Mensch besonders ist und eine vermeintliche Schwäche zur Stärke werden kann. Auch Mobbing-Prävention steht dabei im Zentrum. Denn Magie beginnt bekanntlich, wo Mobbing endet.
Es gibt von Bionicman auch Comicbücher. Wer zeichnet diese und schreibt seine Geschichten?
Es gibt inzwischen drei Comicbücher über Bionicman. Gezeichnet wurden diese von David Bohler, die Geschichten schreibe ich – inspiriert von persönlichen Erlebnissen. Wichtig ist David und mir, dass jedes Abenteuer ohne jegliche Gewalt auskommt. Neulich kam ein Mädchen im Rollstuhl auf mich zu und meinte, dass sie beim Lesen unserer Comics ihren Rollstuhl völlig vergisst und wie Bionicman fliegen kann. Kindern Mut machen, sie beflügeln, dafür steht Bionicman und unsere Enthinderungsmission.