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Home-Schooling versus Home-Eating

Unser Heilpädagoge, Gerhard Spitzer, fühlt gleichermassen ungesunden, wie aktuellen Essgewohnheiten auf den Zahn.

Bild: © 4 PM production/shutterstock.com

Nein, ich schreibe nicht mehr über Corona! Davon bin ich allmählich gesättigt! Aber gut! Jetzt, da alle Welt aktuell ohnehin vorgeblich nur mehr die Gesundheit der Bevölkerung im Fokus hat, schreibe ich trotzdem gerne über ein durchaus gesundheitsrelevantes Thema: über Ernährung!

Bei Lichte besehen ist das, was es in Haushalten zu essen gibt, sowieso der am allermeisten relevante Fakt für möglichst dauerhafte Familiengesundheit. Also verkosten wir vorsichtig das durchschnittliche Wochen-Menu …

Home-Eating

Über Home-Office redet aktuell immer noch alle Welt. Genauso wie über das – meiner Meinung nach absolut untaugliche – Home-Schooling. Aber über «Home-Eating» höre ich kein Wort, oder vielmehr: nur sehr wenige.

Da wäre beispielsweise Veronika aus Winterthur, die mir eifrig erzählt: «Also während meiner Home-Office Zeit hat es mir richtig Spass gemacht, ab und an frisch zu kochen. Davor hat es aus täglichem Zeitmangel fast immer nur Fertiggerichte und Tiefgekühltes bei uns gegeben!»
Gratuliere, liebe Veronika! Ein wahrer Lichtblick, Ihr Bericht! Leider nicht der Regelfall. Denn ganz offensichtlich haben Sie das Privileg gehabt, bei all den verordneten Home-Affairs auch noch regelmässig Zeit zum Kochen gefunden zu haben.

Bei zahllosen Schweizer Familien ist es umgekehrt gelaufen: Häuslicher Arbeitsstress und Sollvorgaben seitens Firma, Schule – aufreibend für Nicht-Pädagogen – und der Behörden haben tatsächlich eher Zeitmangel als Küchenmeister an den Herd gestellt. «Home-Eating» als Gegenentwurf zu normalen Zeiten.

Normalität?

Der elfjährige Maximilian aus Zürich hat es noch vor Weihnachten auf den Punkt gebracht: «Wir haben daheim irgendwie alle keine Zeit mehr! Deswegen isst jeder von uns nur noch so auf die Schnelle, wenn grade Zeit ist! Ach ja: Und naschen tun meine Schwester und ich jetzt auch megaviel!»
Da haben wir’s: meine Rede!

So etwas wie «Normalität» ist also offensichtlich immer noch Mangelware. In allen Lebenslagen! Klar geht diese Entwicklung auch am Normalverhalten in puncto Ernährung nicht spurlos vorüber! Daran mache auch schon behutsam meinen eigentlichen pädagogischen Ansatz für diesmal fest: Achten Sie doch bitte in den nächsten Tagen und Wochen ganz genau darauf, wie und vor allem in welche Richtung sich das Ernährungsverhalten Ihrer geliebten Familie verändert hat!

Wie jetzt? Gar keine Neuerung? Oder eher eine zum Besseren? Dann gratuliere ich! So wie zuvor Veronika. Wenn ein monatelanger unnatürlicher Aufenthaltsmodus und massiv verändertes Einkaufsverhalten eher Gutes ausgelöst haben, dann dürfen Sie diesen Artikel erstmals in der Geschichte meiner Kolumne ab dieser Stelle als «obsolet» betrachten!

Zwischendurch?

Für jene, die aber jetzt immer noch ausreichend Geschmacksnerven haben, habe ich meine Sichtweise im Kochtopf: Ich meine, dass die Ereignisse des letzten Jahres eine sich ohnehin schon vor dem unseligen Jahr 2020 anbahnende Entwicklung so richtig ins Rollen gebracht haben:

Die allermeisten der von uns beobachteten Familien in der Schweiz, Österreich und Deutschland essen schon lange zu süss, zu synthetisch, zu industriell, zu «aufgewärmt» und aufgetaut, vor allem aber zu oft «zwischendurch». Weil aber, in diesen vergangenen Monaten auch noch viel Zeit totzuschlagen gewesen ist, kommt das Attribut «zu viel» hinzu! Dabei ist es gar nicht unbedingt notwendig, während eines Dauerhausarrests wirklich viel mehr zu essen. Es reicht schon, dass man gleich viel verdrückt, dafür aber zu keiner nennenswerten körperlichen Betätigung kommt. Der Overkill für Kinder und Eltern gleichermassen!

Nörgelei

So würde ich, als typischer Wiener Nörgler, die Essensgewohnheiten unserer Durchschnittskids schlichtweg als «zu ungesund» verrufen. Dabei hat die Schweiz von den drei vorhin genannten Ländern bei der Lebensmittel-Qualität auf jeden Fall die Nase vorn! Auch hierzu ist eine herzliche Gratulation angebracht! Dennoch lohnt es sich auch für Sie, liebe Freunde von FAMILIENSpick, ab jetzt wieder mehr Achtsamkeit zu üben. Lieber einmal zu viel im Sinne der Gesundheit Ihrer Kinder nachgedacht. Leisten Sie sich mit dem folgenden Tippkasten ein Update für das Essverhalten in Ihrer Kernfamilie.

Sie werden es mögen!

Tipps

  • Führen Sie nach all den «Eingriffen» ins familiäre Tagesleben besonders beim Essen wieder so etwas wie gelebte Regelmässigkeit und Pünktlichkeit ein.
  • Achten Sie jetzt bitte genau auf die durchaus latente Sucht bei Kindern, sich immer öfters «zwischendurch» und heimlich etwas zu holen.
  • Schicken Sie doch bitte die vielbesungene und besonders in der Schweiz sehr beliebte «Familien-Naschlade» in den unverdienten Ruhestand. Gelegenheit macht Diebe!
  • Reflektieren Sie Ihr eigenes Essverhalten in Bezug auf «Esstempo», Menge und Zusammenstellung.
  • Gehen Sie jetzt mit gutem Vorbild voran, indem Sie selbst irgendwann auf den vielleicht in letzter Zeit wieder üppiger gewordenen «Nachtisch» oder ganz allgemein auf Nascherei verzichten.
  • Führen Sie sehr bewusst und mit viel «Vorfreude» einen oder zwei «frisch-gekocht-Tage» pro Woche ein, bei dem die Kinder mitmachen dürfen. Bioqualität sollte dabei obligat sein!
  • Und schliesslich: Ersetzen Sie Naschzeit durch Unternehmungslust und begeistern Sie selbst sich wieder mehr für bewegungsintensiven Zeitvertreib

Ihre Kinder werden es mögen!

Bild: © Gerhard Spitzer / Foto: Walter Dormaier

Zur Person

Gerhard Spitzer, Heilpädagoge und Verhaltensforscher, Erfolgsautor und Seminar-Kabarettist, schreibt regelmässig und exklusiv für den FamilienSPICK, um seinen reichhaltigen «kindgerechten» Erfahrungsschatz zum Thema Erziehung mit Eltern, Lehrern oder einfach Interessierten zu teilen. Und das stets mit einem Augenzwinkern, denn: «Wenn man Spass an einer Sache hat, dann nimmt man sie auch ernst.» (Gerhard Uhlenbruck)