Nicht nur im Beruf bestimmen Stress und Zeitdruck den Alltag. Auch den meisten Familien läuft die Zeit davon. Termine prägen das Familienleben. Wie können Familien mit solchen Herausforderungen umgehen?
Keine Zeit!
«Wenn ich selber angespannt bin, merken das unsere Kinder sofort und lassen sich anstecken», erzählt Daniela Romano aus dem Aargauischen Gipf-Oberfrick, Mutter von drei Kindern im Alter von sieben bis zehn Jahren. Auch wenn die Kinder sich mittlerweile selbstständig anziehen, die Zähne putzen und in die Schule gehen können, gehe der Morgen nicht immer reibungslos über die Bühne. Manchmal gibt es Streit unter den Kindern und bringt den Fahrplan durcheinander. Zweimal in der Woche steht Daniela Romano am Morgen als Gymnastiktrainerin im Einsatz und ist darauf angewiesen, pünktlich das Haus verlassen zu können. Ansonsten sind Haushaltsarbeiten, Einkaufen und Kochen angesagt. Wenn die Kinder mittags aus der Schule nach Hause kommen, wird gemeinsam gegessen. Am Nachmittag stehen entweder weitere Schulstunden oder Hausaufgaben und Prüfungsvorbereitungen auf dem Programm. Der zehnjährige Noah verbringt etwa 45 Minuten pro Tag mit Hausaufgaben und Lernen, seine Geschwister Ayla und Silio deutlich weniger lang. Wo nötig, steht ihnen Daniela Romano, die früher als Primarlehrerin gearbeitet hat, unterstützend zur Seite.
Unerwartetes als Stressfaktor
Neben Hausaufgaben und Prüfungsvorbereitungen prägen auch gewisse Freizeitaktivitäten wie zum Beispiel Handball, Cellounterricht, Jugendriege oder Hip-Hop-Tanz den Alltag der Familie Romano. Für die 40-jährige Mutter bedeutet dies, die Hobbys ihrer Kinder terminlich zu koordinieren und für den Bring- und Abholservice zu sorgen. «Sobald es bei solchen Terminen Überschneidungen gibt, wird es schwierig. Auch Unerwartetes wie zum Beispiel Krankheiten bedeuten einen zusätzlichen Stressfaktor. Ich muss mir alle Termine aufschreiben, damit ja nichts vergessen geht. Zum Glück darf ich regelmässig auf die Unterstützung meiner Eltern zählen», erzählt Daniela Romano.
Wenn die Uhr gnadenlos tickt
«Wir machen die Erfahrung, dass Zeitdruck in praktisch jeder Familie ein Thema ist», bestätigt Annette Cina, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Familieninstituts der Universität Fribourg. Der Stress im täglichen Familienalltag beginnt dabei schon am frühen Morgen. Die Kinder müssen rechtzeitig aufstehen, damit sie pünktlich in die Spielgruppe, den Kindergarten oder die Schule kommen. Doch das Kind spielt gelangweilt mit dem Frühstück, während die Uhr gnadenlos tickt. Schon bald ist es Zeit, zum Kindergarten oder zur Schule aufzubrechen. Nicht viel besser sieht es dann beim Einkaufen im Supermarkt aus. Stau an der Kasse, Chaos auf den Strassen. Jetzt schnell heim, damit das Mittagessen fertig ist, bevor die Kinder nach Hause kommen. Die Zeitaufholjagd ist längst im vollen Gang. Sind die Kinder zurück, der Hunger gestillt und die Küche einigermassen auf Vordermann gebracht, heisst es, das Erledigen der Hausaufgaben oder die Vorbereitungen auf die Prüfungen der Kinder voranzutreiben – auch wenn die Kinder dann lieber spielen oder anderen Freizeitaktivitäten nachgehen würden.
Stress ist ansteckend
«Wenn die Eltern unter Stress stehen, reagieren sie meist unruhiger und fordernder. Sie drücken sich gegenüber den Kindern aber auch unklarer aus, was zu Missverständnissen und Konflikten führen kann», schildert Annette Cina. Als Folge davon verhalten sich die Kinder vermehrt störrisch und unkooperativ. In den letzten Jahren haben laut Annette Cina Stress und Hektik in Familien laufend zugenommen. Dies habe zum einen damit zu tun, dass häufig beide Elternteile berufstätig sind. Beruf und Familie müssen folglich unter einen Hut gebracht werden. Zum andern ergänzen heute immer mehr ausserschulische Aktivitäten mit Sport, Musik und anderen Freizeitangeboten das Wochenprogramm der Kinder. Dabei kommt – so Annette Cina – die freie Spielzeit zu Hause zu kurz. Und die Eltern sind nicht selten in Fahrdienste eingebunden, um ihre Kinder ins Training oder die Musikschule zu fahren. «Diese zusätzlichen Termine bringen Unruhe in das Familienleben und setzen eine genaue Tagesplanung voraus», betont die Wissenschafterin.
Abläufe und Termine definieren
Hauptursache für negativen Stress ist der Mangel an Zeit. Mit dem richtigen Zeitmanagement bringt eine Familie ihre täglichen Verpflichtungen und Termine besser unter einen Hut. «Eine Familie sollte sich überlegen, womit der eigene 24-Stunden-Tag überhaupt ausgefüllt ist, sprich, welche Abläufe und Termine den Alltag bestimmen», empfiehlt Annette Cina. Um das herauszufinden, kann es zum Beispiel hilfreich sein, alle Dinge aufzuschreiben, die man während des Tages so tut. Womöglich kommt man dadurch den einen oder anderen Zeitfressern auf die Spur, auf die man gut verzichten könnte. «Es ist hilfreich, wenn man die Kinder auf bestimmte Termine, Abläufe und Ziele vorbereitet. Auf diese Weise lernen die Kinder, was wichtige Zeitpunkte sind, und werden dadurch selbstständiger. Natürlich braucht dies eine gewisse Übung und Routine; diese zahlen sich jedoch langfristig aus», ist Annette Cina überzeugt. Familien, die regelmässig gemeinsam besprechen, was zu tun ist, können so die Aufgaben auf freiwilliger Basis verteilen. Ein Kind, das sich eigenständig für eine Aufgabe gemeldet hat, trägt so stolz seinen Beitrag zum reibungsloseren Ablauf des Alltages bei. Bereits kleinere Kinder lassen sich in die Familienalltagsplanung einbeziehen: Weiss das Kind, dass Mama einen wichtigen Termin hat, kann sein Beitrag sein, beim Frühstück nicht zu bummeln. Die besten Zeitpläne sind allerdings keine Hilfe, wenn sie so eng erarbeitet wurden, dass sie keine «Pufferzonen» enthalten. Es kann immer mal etwas dazwischen kommen.
Eltern ihrerseits tun zudem gut daran, auf die Bedürfnisse ihrer Kinder zu achten. Kleine Kinder beispielsweise vergessen sich oft beim Spielen und brauchen mehr Zeit, bis sie gewisse Dinge erledigt haben. Diese Zeit muss einkalkuliert werden. «Manchmal lohnt es sich, einfach ein wenig früher aufzustehen, um mehr Zeit für sich und die Kinder zu haben. Gleichzeitig hat man so mehr Spielraum, um bei Unvorhergesehenem ruhiger zu reagieren», sagt Annette Cina. Warum nicht den Schulsack zusammen mit dem Kind schon am Abend zuvor gleich nach den Hausaufgaben packen? Dies entlastet das meist hektische Morgenprogramm.
Grenzen und Prioritäten setzen
Ein fester Bestandteil im Familienalltag mit Schulkindern sind die Hausaufgaben und Prüfungsvorbereitungen. Hier kann die Situation entschärft werden, wenn zum vornherein klar ist, wann diese Arbeiten nach der Schule erledigt werden – zum Beispiel nach einer kurzen Pause, wenn das Kind aus der Schule gekommen ist. Sind die Hausaufgaben gemacht, kann sich das Kind seiner Freizeit widmen. Doch auch diese bedarf oft einer guten Planung. Viele Terminkalender von Kindern und Familien sind voll mit ausserschulischen Freizeitaktivitäten zwischen Sportplatz und Musikschule. «Häufig sind wir uns zu wenig bewusst, was für die Kinder verkraftbar ist und was nicht. Kinder brauchen auch eine unverplante Freizeit. Hier lohnt es sich deshalb, zu prüfen, was realistisch und wichtig ist», rät Annette Cina und fordert die Familien auf, Prioritäten und Grenzen zu setzen. Kommt es in der Schule zu kurzfristigen Änderungen im Stundenplan, bedeutet dies für manche Eltern ebenfalls Stress. Langfristig angesagte Aktivitäten der Schule seien indes meist kein Problem, so Annette Cina. «Wichtig ist eine klare und regelmässige Kommunikation zwischen Schule und Eltern. Diese wollen über die schulischen Aktivitäten informiert sein und engagieren sich immer mehr auch aktiv daran.»
Entlastungsdienstleistungen für Familien
Für viele Familien ist es selbstverständlich, dass Haushalt und Kindererziehung selbst verrichtet werden. In der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts war es durchaus üblich, Hauspersonal und Kindermädchen zu beschäftigen. Auch heute kann es durchaus sinnvoll sein, sich zu überlegen, welche Aufgaben extern abgegeben werden können – zum Beispiel an eine Tagesmutter, eine Haushalthilfe, eine Putzfrau oder einen Gärtner. In einigen Kantonen werden Entlastungsdienstleistungen für Familien angeboten. Gewisse Firmen unterstützen ihre Mitarbeitenden mit Familiendienstleistungen.
Schule und Elternhaus Schweiz
Eltern eine Stimme geben
Als Elternorganisation der deutschsprachigen Schweiz vertritt Schule und Elternhaus Schweiz (S&E) auf nationaler Ebene die Anliegen der Eltern zu Themen rund um die Schule – und dies seit über 50 Jahren. S&E Schweiz fördert zusammen mit den kantonalen, regionalen und lokalen Sektionen die partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen Schule, Behörden und Eltern.
Die Aktivitäten von S&E:
- Organisation von Veranstaltungen und Kursen
- Beratung von Elterngruppen
- Lobby- und Medienarbeit
- Nationales und internationales Netzwerk
- Lancierung von Projekten
- S&E ist offizieller Vernehmlassungspartner beim Bund und vielen Kantonen in der Deutschschweiz