Am Anfang ist die Begeisterung gross: Die 9-jährige Hanna will unbedingt Gitarre spielen lernen. Sie geht gerne in die Gitarrenstunden und übt eifrig zu Hause. Nach ein paar Monaten ist die Freude verflogen und Hanna will ihre Freizeit lieber mit ihren Freundinnen verbringen. Hier ist guter Rat teuer. Im Interview gibt Christian Berger, Leiter Elementare Musikpädagogik an der Zürcher Hochschule der Künste, Einblicke in die musikalische Erziehung sowie Tipps und Tricks, wie Gitarre & Co wieder aus der Ecke kommen.
Null Bock aufs Üben – Wie Musizieren wieder Spass macht
Wieso verliert ein Kind plötzlich das Interesse an einem Musikinstrument, vor allem, wenn ihm der Musikunterricht zu Beginn eigentlich Spass machte?
Wenn man sich mit der Frage beschäftigt, wie denn ein freudvolles lebenslanges Musizieren möglich ist, lohnt es sich, den Beginn dieses Prozesses, dieser «Reise», etwas genauer anzuschauen. Viele Kinder erleben ihre ersten bewusstmachenden musikalischen Erfahrungen in einem Unterricht der Elementaren Musikpädagogik, das heisst, sie besuchen den Unterricht der Musikalischen Grundausbildung oder Ähnliches. Dieser wird, vor allem in der deutschsprachigen Schweiz, nahe an der Volksschule durch die Musikschulen angeboten.
Worum geht es bei dieser Grundausbildung in erster Linie?
Die noch jungen Kinder erleben auf spielerische Art und Weise und in Gruppen mit Gleichaltrigen, was Musik alles sein kann. Durch eigenes Singen, Tanzen und dem Spiel auf einem elementaren Instrumentarium erleben sie die Musik als etwas zu ihnen Gehöriges. Gleichzeitig koppeln sie dies aber auch an die Erfahrung der Schule im Allgemeinen. So erleben sie die vertiefte musikalische Bildung als Teil der schulischen Bildung. Da diese erste Auseinandersetzung mit dem Phänomen Musik noch fernab des Erlernens einer instrumentalen Technik steht, rückt die erlebnishafte und emotionale Erfahrung in den Vordergrund des Geschehens.
Irgendwann geht das Kind dann vielleicht in den Instrumentalunterricht. Was ist der Hauptunterschied zur Musikalischen Grundausbildung?
Beim Übertritt in einen Instrumentalunterricht, der sehr oft als Einzelunterricht stattfindet, verändert sich der Zugang zur Musik. Das Beherrschen einer Technik am Instrument, oftmals das Notenlesen und das damit verbundene genaue Reproduzieren eines Musikstückes rücken in den Vordergrund. Das Üben und Vertiefen sowie die damit verbundene selbstständige Auseinandersetzung mit Musik steht immer mehr im Zentrum. Die aufmerksame und musikpädagogisch gebildete Lehrperson übernimmt dabei die Rolle der Vermittlung. Sie möchte den Kindern die Welt der Musik erschliessen. Das in der Musikalischen Grundschule oftmals erlebte spielerisch entdeckende Moment wird immer mehr durch «Sachwissen über Musik» ersetzt. Vielen Kindern gelingt dieser Schritt nicht.
Wie äussert sich das?
Ihre anfängliche Begeisterung verflüchtigt sich und das lustvolle Entdecken verkehrt sich ins Gegenteil. Das Üben am Instrument reiht sich ein in den Kanon der Hausaufgaben und verliert dabei seinen intrinsisch motivierten Anfang. Hinzu kommt, dass das Erlernen eines Instrumentes für die Eltern ein erheblicher finanzieller Aufwand ist und je nach Instrumentenwahl sogar eine Umstellung der Wohnungseinrichtung bedeutet. Denken wir nur an die Anschaffung eines Klaviers oder eines Schlagzeuges. Hinzu kommt, dass die Einzelstunden trotz Subventionen der Gemeinde und der Kantone immer kostspielig sind. Im Gegensatz dazu war die Musikalische Grundschule oft kostenneutral. Alle Kinder erhalten dort den gleichen Zugang zur kulturellen Teilhabe.
Was hat dies mit der Begeisterung des Kindes fürs Instrument zu tun? Woran denken Sie hier?
Oft entsteht aus dieser oben beschriebenen Situation ein unbewusster Druck auf die Kinder. Sie üben und spielen ihr Instrument den Eltern zuliebe oder aus dem Glauben heraus, dass dies einfach «zur Schule» dazugehört. Sie erleben dabei Ähnliches wie in der Volksschule. Ihre Leistung und ihr Fortschritt wird mit Lob und Anerkennung belohnt. Sollten sie dabei ihre Lust verlieren, werden sie ermahnt, doch endlich mehr zu üben, damit sie «besser werden». Eltern wie Instrumentalpädagogen sind dabei gleichermassen herausgefordert, die Kinder «bei der Stange» zu halten. Nun darf man sich fragen, ob denn das musikalische Tun nicht auch andere Wege gehen könnte.
Was schlagen Sie hier vor?
Rückblickend auf meine musikpädagogische Praxis stelle ich fest, dass der Verbindung vom Kind zur von ihm gespielten Musik grosse Sorge getragen werden muss. So muss im Musikunterricht wie im regelmässigen Üben genügend Raum für das Entdecken, das Nachdenken und das improvisierende Musizieren vorhanden sein. Dies eng gekoppelt mit der Stärkung der Kinder, dass es «ihre» Musik ist, die sie spielen. Und dass es eine Freude ist, sie dabei begleiten zu dürfen. So erleben und erfahren sie, dass «Musik machen» eine Erweiterung der persönlichen Ausdrucksmöglichkeiten ihrer selbst ist.
Was ist für Sie das Wichtigste, das ein Kind aus dem Erlernen eines Instrumentes mitnehmen soll?
Das Musizieren soll als «Selbstwert» erfahren werden und sich nicht in den Kanon des leistungsorientierten Lernens einreihen. Nur wenn im Musizieren eine Beziehung zu sich selber wahrgenommen wird, entsteht ein tragfähiger Boden, dies ein Leben lang zu tun und sich dabei auch den spieltechnischen Herausforderungen des instrumentalen Lernens zu stellen. So bekommt das Üben einen Grund und auch ein erkennbares Ziel, nämlich persönlich weiterzukommen. Dabei ist es für Eltern wie für Musiklehrerinnen und Musiklehrer ganz wichtig, die eigenen Erkenntnisse der Kinder in dieser Auseinandersetzung zu würdigen und sie immer wieder dabei zu bestärken, auf diesem Weg weiterzugehen. So erschliesst sich auch die Möglichkeit der «Kulturellen Teilhabe», das heisst, auf diesem Weg kann man Musiken verschiedener Epochen, Stile und Ausprägungen begegnen und sie erhalten eine Bedeutung für einen selbst.
Kehren wir nochmals zum konkreten Fall zurück, wo dem Kind sein Instrument keinen Spass mehr macht: Kann ein Grund sein, dass das Kind gar kein Instrument lernen wollte und es vor allem der Wunsch der Eltern war, dass ihr Kind ein Musikinstrument lernt?
Ja, dies kann sehr wohl so sein. Für viele Eltern gehört das Erlernen eines Instrumentes zu einer ganzheitlichen Bildung. Doch muss auch kritisch festgehalten werden, dass dies oft von den Eltern dann auch mit den ähnlichen Massstäben der Schule gemessen wird. So soll es beim Lernen in der Schule wie am Instrument vorwärtsgehen und damit verbunden steht die Erwartung im Raum, dass die Kinder mit Einsicht ihre «Aufgaben» selbstständig erledigen.
Wenn das Kind von sich aus ein Instrument lernen möchte: Worauf sollten Eltern bei der Auswahl des Musikinstruments für ihr Kind achten?
Die Instrumentenwahl der Kinder geht oft verschlungene Wege. Nicht immer ist nachvollziehbar, warum nun gerade z. B. die Trompete das Instrument der Wahl sein soll. Aspekte wie Klangfarbe, äussere Erscheinung, persönliche Erlebnisse mit Vorbildern, welche dieses Instrument spielen, Konzerterlebnisse etc. können initiale Weichensteller sein. Grundsätzlich sollen die Kinder in ihrer Entscheidung unterstützt werden. Die Aufgabe der Eltern ist es, interessiert daran teilzuhaben, es wenns geht zu ermöglichen und mit Freude diesen ersten Schritt in eine neue Richtung gemeinsam mit ihrem Kind zu gehen. Es gibt nicht das «richtige» Instrument oder gar «passende» oder «unpassende» Instrumente. Auch ist es nicht die Frage, ob es den Eltern gefällt oder nicht. Vielmehr soll die «Selbstwirksamkeit» dieser Entscheidung beim Kind gestärkt werden, damit der Start möglichst schwungvoll und positiv besetzt gelingen mag.
Was ist Ihrer Ansicht nach eine gute Tageszeit fürs Üben? Wie lange soll geübt werden?
Dies ist schwer generell zu beantworten. Auch hier lohnt es sich, zusammen mit den Kindern verschiedenes auszuprobieren. Selbstverständlich soll die getroffene Abmachung eingehalten werden. Den Eltern wie den Kindern soll aber klar sein, dass wir den «momentan» besten Zeitpunkt gemeinsam herausfinden.
Der Zeitpunkt, wann geübt wird, ist das eine, der Ort, wo genau im Haus oder in der Wohnung geübt wird, das andere. Was sollte man hier beachten?
Wichtige Voraussetzungen für ein oftmaliges spontanes Musizieren am Instrument bildet in der Tat die Wahl des Platzes, wo das Instrument steht. Logischerweise ist es nicht so toll, wenn ich immer zuerst in den Keller gehen muss, um auf dem Schlagzeug spielen zu dürfen. Auch soll gemeinsam, das heisst auch zusammen mit der Instrumentallehrperson, über das Üben gesprochen werden. Dabei ist es weniger wichtig, die genaue Zeitangabe in den Vordergrund zu stellen als vielmehr zu besprechen, wie man üben kann und dass das «Drauflosspielen» oder das Spielen bereits bekannter Stücke genauso dazu gehören wie das ganz genaue Erlernen eines neuen Tones, einer Melodie, einer neuen Technik etc. Das Üben soll damit möglichst positiv besetzt werden. Dass es dazugehört, steht auch für die Kinder meist ausser Frage.
Hilft es, wenn die Eltern beim Üben dabei sind und dem Kind zuhören oder ist das eher ein zusätzlicher Stress fürs Kind?
Stress soll auf keinen Fall aufkommen. Interessiertes Zuhören fördert oft die Vertiefung. Die Musik, so wie sie im Moment vom Kind gespielt werden kann, soll wertschätzend wahrgenommen werden. Der Hinweis, dass die Musik erst durch das Weiterüben, also erst zu einem späteren Zeitpunkt richtig toll tönen wird, ist nicht motivierend. Anteilnahme am Lernprozess stärkt das «Selbstwirksamkeitskonzept» der Kinder. Freude am momentan Gelungenen macht Lust, es immer wieder zu tun. Daraus werden die eigenen Ansprüche der Kinder an ihre Musik geweckt. Wenn die Eltern mit interessierten «offenen Ohren» hinhören, tun dies die Kinder oft ebenso.
Stichwort Leistungsdruck. Stellen wir uns vor, das Kind macht gute Fortschritte beim Instrument und hat Talent. Hier kann vonseiten der Eltern die Erwartungshaltung entstehen, dass das Kind noch mehr üben soll, weil es hier ja richtig gut werden könnte. Gut gemeinte Motivation kann vom Kind je nachdem als grosser Druck empfunden werden und das Gegenteil bewirken. Wie sehen Sie das und was empfehlen Sie Eltern hier?
«Höher, schneller, weiter, besser» hat längst auch in der Musik Einzug gehalten. Verbunden mit den Zuschreibungen von «Talent» und «Begabung» ist schon manch natürlicher Zugang zum Musizieren jäh zunichtegemacht worden. Selbstverständlich sollen Kinder, die sich selber gerne herausfordern, auf ihrem zielgerichteten Weg unterstützt werden. Eltern «begabter» Kinder stehen oft vor der Herausforderung, ihre eigenen Ansprüche in der Sache nicht über diejenigen der Kinder zu stellen. Nicht jedes für das Spiel eines Instrumentes begabtes Kind möchte später den Weg des Berufsmusikers einschlagen. Es gilt, zusammen mit dem Kind herauszufinden, wie der Weg weitergeht, damit sich das zugeschriebene «Talent» nicht auf einmal gegen das Kind wendet.
Was sind Ihre besten Tipps und Tricks, damit ein Musikinstrument dem Kind längerfristig Spass macht?
Lapidar aber auch entwaffnend einfach formuliert: «Musik machen». Sich gemeinsam mit dem eigenen Kind über die klingende Welt erfreuen. Viele Gelegenheiten suchen, um dies im Familienalltag zu entdecken. Selber mit Freude sich aufs Musizieren und Tanzen einzulassen und mit Lebensfreude zu verbinden. Dafür müssen wir Eltern nicht Profis in der Musik sein, sondern vielmehr mit den Kindern diese wunderbare Form der menschlichen Kommunikation leben und geniessen. Es ist schön, wenn ein Mensch musiziert. Diese kulturelle Teilhabe soll den Kindern immer wieder erlebbar gemacht werden.