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Rettungsaktion für die Bildungsqualität

An manchen Schulen der Schweiz leidet die Bildungsqualität. Eines der Gründe dafür ist der aktuelle Mangel an Lehrpersonen. Hinzu kommen ungleiche Rahmenbedingungen je nach Kanton, hohe administrative Belastungen sowie steigende Herausforderungen im Schulalltag. Deshalb unterstützt S&E den Aktionsplan des Dachverbandes Lehrerinnen und Lehrer Schweiz.

Bild: © Who is Danny/shutterstock.com

«Meine Tochter hat in der fünften und sechsten Klasse sehr gelitten», erzählt Lucia Meier (Name geändert), wohnhaft im Grossraum Bern. «Ihr Lehrer, der kurz vor der Pension steht und vermutlich ausgebrannt ist, mobbte einen Mitschüler während Jahren und weigert sich bis heute, den Lehrplan 21 im Unterricht umzusetzen.» Die Vorstösse vonseiten der Eltern seien – so die Mutter – von der Schulleitung wenig ernst genommen worden. «Wir wurden immer wieder vertröstet mit dem Hinweis, dass man daran arbeite. Doch passiert ist bis heute nichts.» Viele Eltern hätten mittlerweile resigniert und den Widerstand aufgegeben. Eine Einmischung vonseiten der Eltern sei von der Schulleitung nicht gern gesehen worden, stellt Lucia Meier, die selber im Elternrat aktiv ist, immer wieder fest. Ihre jüngere Tochter besucht zurzeit die dritte Klasse, allerdings in einem anderen Schulhaus. Weil der bisherige Lehrer offenbar mit fachlichen Defiziten zu kämpfen hatte, wurde er nach eineinhalb Jahren durch eine Lehrerin ersetzt. «Die Klasse hat mittlerweile im Schulstoff einen Rückstand von zehn Wochen. Wir lernen jeden Tag zusammen eine Stunde, um den Rückstand aufzuholen», berichtet Lucia Meier und kritisiert, dass unter solchen Bedingungen die Bildungsqualität stark leidet. Die Elternrätin wirft der Schulleitung mangelnde Führungskompetenz und Kommunikationsbereitschaft gegenüber den Eltern vor.

S&E unterstützt den LCH

Als Präsidentin von Schule und Elternhaus Schweiz (S&E) beobachtet Gabriela Heimgartner die aktuellen Entwicklungen in der Schweizer Bildungslandschaft mit Sorgenfalten. Insbesondere der akute Mangel an Lehrpersonen schade der Bildungsqualität. «Als Verein, der sich seit 70 Jahren für die Bildung und eine gute Zusammenarbeit zwischen Schule und Eltern engagiert, fordern wir einheitliche Rahmenbedingungen für die Schulen in allen Kantonen. Ansonsten wachsen die Unterschiede in der Bildungsqualität je nach Kanton und Schulstandort weiter.» Weiter macht sich S&E für mehr Ressourcen in der Bildung sowie für einheitliche Kon-trollmechanismen in den Kantonen stark, um die Umsetzung von Massnahmen zugunsten der Bildungsqualität zu überwachen. Aus diesem Grund unterstützen S&E Schweiz sowie mehrere kantonale Sektionen den Aktionsplan «Bildungsqualität sichern – jetzt!» des Dachverbandes Lehrerinnen und Lehrer Schweiz (LCH). Die Initiantinnen und Initianten präsentieren darin konkrete Massnahmen gegen den Personalmangel. Die Kantonalsektionen passen diese Vorschläge an die Gegebenheiten vor Ort an und bringen sie mittels Volksinitiativen und weiteren Aktionen in den politischen Prozess ein. Ziel des Aktionsplans ist, dass die Parlamente und Bildungsdirektionen in den Kantonen die Vorschläge prüfen und umsetzen.

Kantonale Initiativen

«Bildung ist eine Investition in die Zukunft der Schweiz und ihrer Bevölkerung», betont die LCH-Präsidentin Dagmar Rösler. «Der wirtschaftliche Erfolg der Schweiz sowie ihre demokratische Stabilität gründen auf fachlich gut abgestützter Bildung für möglichst alle. Die Schülerinnen und Schüler von heute sind die Fachkräfte und die Stimmbürgerinnen und -bürger von morgen. Das ist das wahre Erfolgsmodell Schweiz.» Aktuell füllen – so Dagmar Rösler – immer mehr Kantone die Personallücken, indem sie offenbar Personen ohne Lehrdiplom anstellen. Doch diese Notlösung darf nicht zum Dauerzustand werden, wie Stefan Wittwer, Geschäftsführer von Bildung Bern, ausführt: «Kinder und Jugendliche zu unterrichten, ist eine wichtige und anspruchsvolle Aufgabe. Eine entsprechende Ausbildung ist zwingend, wenn wir unseren Kindern die bestmögliche Ausbildung garantieren möchten.» Als erste Kantonalsektion steht der Aargauische Lehrerinnen- und Lehrerverband (alv) mit seiner Volksinitiative in den Startlöchern. «Wir haben mit der Sammlung der Unterschriften im Januar gestartet», erklärt alv-Präsidentin Kathrin Scholl. «Die Initiative hat zum Ziel, die Bildungsqualität als Auftrag in der Kantonsverfassung zu verankern. So beauftragen wir die Politik, endlich konkrete Massnahmen zu ergreifen.» Volksinitiativen sind auch in den Kantonen Bern und Zug geplant, in weiteren Kantonen laufen Abklärungen. Wieder einen anderen Weg wählt der Verband Lehrpersonen Graubünden (LEGR): «Wir sind mitten in der Revision des Schulgesetzes», erklärt Geschäftsleiter Jöri Schwärzel. «Damit unsere Anliegen vom Kanton gehört werden, lancieren wir eine Petition als starkes Signal an Regierung und Parlament, dass der Bevölkerung die Bildungsqualität wichtig ist.»

Ein Bündel an Massnahmen

Um den Personalmangel an den Schulen zu bekämpfen, braucht es laut LCH ein Bündel an Massnahmen. Der Dachverband und die kantonalen Verbände schlagen im Aktionsplan Bildungsqualität verschiedene Massnahmen vor, die in den einzelnen Kantonen je nach Situation angepasst werden können: zum Beispiel die Entlastung der Lehrpersonen durch administrative Aufgaben, kleinere Klassen, mehr Ausbildungsplätze für Lehrpersonen, die Verpflichtung zur Ausbildung für Personal ohne Lehrdiplom, mehr und passende Angebote für qualifizierte Quereinsteigerinnen und -einsteiger oder eine Angleichung der Löhne und bessere Löhne auf den unteren Stufen. Weil die Volksschuldbildung in der Schweiz föderalistisch, also kantonal geregelt ist, sieht der Aktionsplan des LCH kantonsspezifische Massnahmen und Aktionen vor.

PISA-Studie zeigt Schwächen auf

Wie es um die Bildungsqualität in der Schweiz steht, zeigt jeweils die PISA-Studie. Sie beleuchtet Stärken, aber auch Schwächen in der Schweizer Bildungslandschaft. Insbesondere die anhaltend guten Mathematik-leistungen verdienen Anerkennung. Dies spricht für die hohe Qualität der Lehrpersonen und des Unterrichts, und dies trotz der durch Covid-19 bedingten Schulschliessungen. Solche Lichtblicke dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es in verschiedenen Bereichen auch besorgniserregende Entwicklungen oder ungelöste Herausforderungen gibt. Insbesondere der hohe Anteil von 25 Prozent der Jugendlichen, welche die Mindeststandards beim Lesen nicht erreichen, gibt laut Beat A. Schwendimann, Leiter Pädagogik beim LCH, Anlass zur Sorge. Noch kritischer sei die wachsende Kluft zwischen leistungsstarken und leistungsschwachen Schülerinnen und Schülern. Zusammen mit den Auswirkungen der sozialen Herkunft, die sich 2022 so stark wie noch nie bemerkbar machten, werde die Chancengerechtigkeit stark gefährdet.

Bildungsqualität sichern

Um die von PISA 2022 aufgezeigten Herausforderungen anzugehen und die hohe Bildungsqualität langfristig zu sichern, kommt der Qualität der Lehrpersonen eine Schlüsselrolle zu. «Ihre Qualität und ihr Engagement sind entscheidend, um jedes Kind ganzheitlich zu fördern, Potenziale zu entfalten und Bildungsbenachteiligungen auszugleichen. Gute Bildung muss für alle zugänglich sein – unabhängig vom Elternhaus. Sonst ist nicht nur die Chancengerechtigkeit beeinträchtigt, sondern auch der künftige Wohlstand unseres Landes gefährdet», betont Beat A. Schwendimann. Schule und Elternhaus Schweiz unterstützt laut Gabriela Heimgartner diese Forderungen. Einen wichtigen Fokus legt die Organisation auf die Entlastung und Unterstützung der Lehrpersonen – vor allem bei anspruchsvollen Klassen. «Wir fordern die Aufwertung der Schulassistenzen mit einer entsprechenden Ausbildung und gerechten Besoldung», erklärt die S&E-Präsidentin. Weiter sollten Quereinsteigerinnen und -einsteiger in den Lehrberuf im Rahmen ihrer berufsbegleitenden Ausbildung an einer pädagogischen Hochschule finanzielle Unterstützung erhalten. In gewissen Kantonen gebe es hierfür bereits Bestrebungen. Und schliesslich ruft S&E in Erinnerung, wie wichtig die Zusammenarbeit zwischen Lehrpersonen und Eltern für ein gutes Bildungsklima sei. «Wir Eltern und Elternräte bilden für die Schulen eine wichtige Ressource», betont Gabriela Heimgartner.

Verfassungsinitiative im Kanton Bern

Unter dem nationalen Aktionsplan des LCH «Bildungsqualität sichern» laufen in mehreren Kantonen Initiativen und Petitionen. S&E ist mit seinen Sektionen in den Kantonen aktiv. Im Kanton Bern etwa ist S&E Teil des Komitees von Bildung Bern für eine Verfassungsinitiative. Die Initiantinnen und Initianten fordern laut Stefan Wittwer, Geschäftsführer von Bildung Bern, verschiedenste Massnahmen zur Sicherung der Bildungsqualität – zum Beispiel Teamteaching im Zyklus 1 und bei schwierigen Klassenzusammensetzungen, Unterstützung bei der Zusammenarbeit mit Eltern, Aufstockung der Pensen von Schulleitungen, konkurrenzfähige Löhne oder die Verpflichtung zur Ausbildung von Lehrpersonen ohne Lehrdiplom. Ausserdem setzt sich Bildung Bern dafür ein, dass der Begriff Bildungsqualität in der kantonalen Verfassung festgehalten wird. «Das Bekenntnis, dass Leute ihren Kompetenzen entsprechend eingesetzt werden sollen, fehlt zurzeit, ebenso die Einsicht, dass Fachkräfte gute Rahmenbedingungen brauchen», kritisiert Stefan Wittwer. Mit der Verfassungsänderung wolle man den Boden für die konkreten Forderungen legen.

Unzufriedene Eltern

Im Kanton Aargau unterstützt die Kantonalsektion von S&E den Aktionsplan des LCH in Zusammenarbeit mit dem Aargauischen Lehrerinnen- und Lehrerverband (alv). «Wir stehen voll hinter dem Aktionsplan», betont Susanne Menegaldo, Co-Präsidentin von S&E Aargau und selber wieder als Lehrerin tätig, obwohl sie bereits pensioniert ist. «Bei uns im Kanton herrscht ebenfalls ein grosser Mangel an qualifizierten Lehrpersonen. Darunter leiden schlussendlich die Kinder, die ein Anrecht auf eine gute Schuldbildung haben.» Besonders gefragt sind offenbar Französischlehrpersonen. Dies hängt laut Susanne Menegaldo unter anderem damit zusammen, dass an der pädagogischen Hochschule Französisch und Englisch nicht gleichzeitig studiert werden können. Regelmässig steht Susanne Menegaldo in Kontakt mit Eltern, die mit der Unterrichtsqualität nicht zufrieden sind, weil die Klassen schlecht betreut oder aufgestockt werden, um Lehrpersonen einzusparen. Auch der Einsatz von Schulassistentinnen und -assistenten sei umstriten: «Sie sind eine Notlösung und haben oft keine entsprechende Ausbildung. Natürlich gibt es auch sehr gute Assistentinnen und Assistenten. Wir fordern für sie eine einheitliche Ausbildung und bessere Entlöhnung», betont Susanne Menegaldo.

Dialog fördern

Im Kanton Zug wird derzeit die geplante Übertrittsprüfung von der Primarschule ans Langzeitgymnasium diskutiert. «Dieses Thema beschäftigt nicht nur die Politik, sondern auch viele Eltern, schliesslich geht es bei dieser Übertrittsprüfung auch um Chancengleichheit», berichtet Claudia Castro, Co-Präsidentin der S&E-Sektion Stadt Zug. Die Sektion wurde 2023 neu gegründet und soll auf kommunaler Ebene die Stimme der Eltern vernetzen und stärken sowie den Austausch zwischen den verschiedenen Schulhäusern bzw. Elternräten verbessern. Im Vergleich zu anderen Kantonen ist die Stadt Zug noch nicht so stark vom Lehrermangel betroffen. Die attraktiven Rahmenbedingungen und die gute geografische Lage locken laut Claudia Castro viele Lehrpersonen aus den umliegenden Kantonen an. Trotzdem spüre man auch hier den administrativen Druck auf die Lehrpersonen und die zunehmende Knappheit an Fachpersonal. ++

www.lch.ch

Schule und Elternhaus Schweiz (S&E)

Eltern eine Stimme geben

Die Anliegen der Eltern vertreten

Als Elternorganisation der deutschsprachigen Schweiz vertritt Schule und Elternhaus Schweiz (S&E) auf nationaler Ebene die Anliegen der Eltern zu Themen rund um die Schule – und dies seit 70 Jahren. S&E Schweiz fördert zusammen mit den kantonalen, regionalen und lokalen Sektionen die partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen Schule, Behörden und Eltern. S&E ist Patronatsgeber des Berufswahl-Portfolios.

www.schule-elternhaus.ch