Mittelohrentzündungen kommen bei Kindern sehr häufig vor und wurden bis vor kurzem oft mit Antibiotika behandelt. Doch die resistente Bakterienstämme zwingen uns zum Umdenken. Gefragt sind nun alternative Behandlungsmethoden.
Schmerz im Ohr
In Sachen Mittelohrentzündung ist Brigitte Gschwend eine mehrfach erprobte Expertin: Nicht zwei, nicht drei, nein, rund zehn Mal machten ihre beiden Kinder, die 11-jährigen Zwillinge Max und Jan, eine Mittelohrentzündung durch, und das pro Sohn, notabene. «Nach dem dritten Mal ging ich nicht einmal mehr sofort zum Arzt», erinnert sich die berufstätige Mutter, «sondern begann die übliche Behandlung. Die bestand im Verabreichen von abschwellenden Nasentropfen, ein bisschen Bettruhe und einem Schmerz lindernden Zäpfchen für die Nacht. Antibiotika mussten meine Kinder zum Glück nicht einnehmen».
Auf die leichte Schulter nahm Brigitte Gschwend die Erkrankung nicht. Sie hatte sich über die Risiken informiert und auch über mögliche Komplikationen im Krankheitsverlauf ein Übergreifen der Entzündung auf den Schädelknochen (Mastoiditis) oder bleibende Hörschäden bis hin zum Hörverlust.
Den Einsatz von Antibiotika wollte sie aber bewusst und nach Absprache mit dem Arzt erst im Ernstfall zulassen. Aus gutem Grund, wie neuerdings auch die Ärzteschaft einräumt. «Bei jedem zweiten Kind mit Mittelohrentzündung kommt man ohne Antibiotikum aus», sagt dazu Professor Urs B. Schaad, pädiatrischer Infektiologe und ärztlicher Direktor des Universitäts-Kinderspitals beider Basel, UKBB. Und Studien belegen, dass zwei Drittel aller akuten Mittelohrentzündungen von selbst abheilen.
Die Ursachen
Die Mittelohrentzündung, lateinisch Otitis media, ist eine Infektion, die durch Viren oder Bakterien verursacht wird. Dabei dringen diese über den Nasen-Rachen-Raum ins Ohr ein, greifen dort die Schleimhäute an und blockieren oder verschliessen sogar die Eustachische Röhre, die das Mittelohr belüftet und mit dem Rachenraum verbindet. Im Mittelohr bildet sich Flüssigkeit, die nicht ablaufen kann und sich deshalb häufig infiziert. Kinder sind für Mittelohrentzündungen besonders anfällig. Ihre Ohrtrompete ist noch eng und schliesst sich bei Entzündungen leichter. Auch die Rachen- und Gaumenmandeln sind in den ersten Kinderjahren vergrössert und verstopfen so den Verbindungsgang zwischen Rachen und Ohr. Mehr als drei Viertel aller Kinder erleiden innerhalb der ersten sechs Lebensjahren eine oder sogar mehrere solcher Infektionen.
Noch vor wenigen Jahren wurde die Mittelohrentzündung ohne grosse Bedenken partout mit Antibiotika kuriert. Heute findet ein Umdenken statt. Mit der steigenden Zunahme resistenter Bakterienstämme sucht man nach Wegen, Antibiotika zumindest differenzierter und damit effizienter einzusetzen. Denn der wichtigste Grund für das Wachstum resistenter Keime ist in der Tat der grosszügige Einsatz von Antibiotika. Studien belegen, dass in Ländern wie etwa Holland, wo solche Medikamente sparsam eingesetzt werden, die Zahl resistenter Mikrobe schon 1977 um ein Drittel zurückgegangen ist. um ein Drittel zurückgegangen ist.
Wie behandeln?
Die erste Mittelohrentzündung können Kinder schon im Alter von wenigen Monaten bekommen. Wenn sie noch nicht sprechen können, ist es für die Eltern nicht immer einfach, die richtige Diagnose zu stellen. Eindeutige Symptome für eine Mittelohrentzündung sind hohes Fieber, oft in Verbindung mit Schwindel und Erbrechen. Das Kind greift sich ständig ans Ohr, dreht den Kopf unruhig hin und her und will unbedingt nur auf einer Seite liegen. Der Gang zum Arzt oder zur Ärztin ist in solchen Fällen unerlässlich. Sie werden in den meisten Fällen vorerst ein abschwellendes Nasenspray verordnen und ein Schmerzmittel, oft in Form von Zäpfchen.
Wirksame Hausmittel gegen Schmerzen sind auch warme Zwiebelwickel. Das ätherische Öl der Zwiebel wirkt leicht entzündungshemmend und die Wärme lindert den Schmerz. Auch ein Tröpfen Teebaum- oder Lavendelöl, die man auf einem kleinen Wattebausch vorsichtig ins Ohr schiebt, schaffen Erleichterung. Aber aufgepasst: Hausmittel ersetzen nicht den Arztbesuch! Eine weitere Arztkontrolle sollte schon nach wenigen Tagen statt finden, um den Krankheitsverlauf und den Allgemeinzustand des Kindes zu kontrollieren. Drohen Komplikationen, wie ein Übergreifen der Infektion auf das andere Ohr oder ein Trommelfelldurchbruch, werden häufig immer noch Antibiotika eingesetzt, obwohl auch hier die Meinungen der Experten mittlerweile geteilt sind.
So schreibt etwa Dr. med. Stephan Gerosa aus Läufelingen in der Basler Zeitung vom 28. Februar 2003: «Als Selbstheilung des Körpers muss das Durchbrechen des Trommelfells angesehen werden, der Eiter fliesst nach aussen. Normalerweise heilt eine solche so genannte Trommelfellperforation ohne weiteres ab.» Die Trommelfellperforation wird in Holland gar als Behandlungsmethode praktiziert: Dabei wird das Trommelfell ein wenig eingeschnitten, damit der Eiter abfliessen kann. Der Druck aufs Ohr und die Schmerzen lassen sofort nach, das Löchlein wächst in wenigen Wochen zu. Leider konnte sich diese Behandlungsweise in der Schweiz noch nicht durchsetzen.
Die Nachteile der Antibiotika
Dass bei Einsatz von Antibiotika auch kein Vorbeugeeffekt für sich wiederholende Infektionen oder für das Auftreten von chronischen Mittelohrergüssen besteht, zeigen verschiedene Untersuchungen. Im Gegenteil: Es muss angenommen werden, dass Antibiotika die schützende Bakterienflora des Ohrs zerstören und so den Weg für erneute Infektionen ebnen. In einer Studie wurde deshalb versucht, das Mittelohr anfälliger Kinder nach einer antibiotischen Behandlung mit «guten» Keimen zu besiedeln mit erstaunlichen Ergebnissen. Von den 130 Probanden bekam nur noch die Hälfte einen Rückfall oder litt an chronischen Infektionen. Ähnliche Ansätze verfolgt die Homöopathie: Hier wird empfohlen, nach dem Abklingen einer akuten Mittelohrentzündung ein Gehör kräftigendes Mittel in Form von Globuli zu verabreichen.
Etwa ein Drittel der betroffenen Kinder neigt zu chronischen Ohrinfekten. In diesen Fällen ist eine kleine Operation angezeigt, bei der ein Röhrchen ins Trommelfell eingesetzt wird, damit die infizierte Flüssigkeit leichter abfliessen kann. Auch eine operative Entfernung der Rachenmandeln oder von Schleimhautwucherungen in der Nase muss in Erwägung gezogen werden.
Kaugummi hilft
Eindeutig wirksame vorbeugende Massnahmen gegen Mittelohrentzündung gibt es leider nicht. Bei anfälligen Kindern wird empfohlen, jede Erkältung und jeden Schnupfen ernst zu nehmen und sofort zu behandeln. Auch eine gesunde, vitaminreiche Ernährungsweise, die ohne Fertiggerichte, weisses Mehl und Zucker auskommt, trägt viel zur Stärkung des Immunsystems bei und hilft so dem Körper, Infekte abzuwehren. Etwas zur Vorbeugung beitragen können auch Eltern: Sprösslinge von Nichtrauchern und gestillte Babys sollen signifikant besser vor Infekten geschützt sein.
Eine neue und bei Kindern höchst beliebte therapeutische Massnahme ist das Kaugummikauen. Es hält die Eustachische Röhre beweglich und verringert so das Risiko einer erneuten Mittelohrentzündung. Dabei hat sich Xylit, ein Zuckeraustauschstoff, der aus Birken gewonnen und auch im menschlichen Körper vorkommt, als recht wirksam erwiesen. Xylit-haltige Kaugummis werden seit Jahren erfolgreich zur Mundhygiene eingesetzt, weil sie die Bakterienflora im Mund- und Rachenraum günstig beeinflussen. Finnische Forscher konnten 1998 in einer breit angelegten Studie mit 857 Kindern ermutigende Resultate vorweisen das Risiko einer Mittelohrentzündung nahm bei der Xylitkaugummi-Gruppe um 40 Prozent ab.
Weniger erfolgreich verliefen Versuche, gegen die Otitis zu impfen. Trotz aufwändiger Verfahren konnten nicht wesentlich mehr Erkrankungen verhindert werden. Grund für diese unbefriedigenden Ergebnisse dürfte die Vielfalt der möglichen Erreger sein. Die einfachste Behandlungsmethode besteht also nach wie vor darin, abschwellende, schmerzstillende und entzündungshemmende Medikamente zu verabreichen und mit den Antibiotika zuzuwarten. Geplagten Kindern und betroffen Eltern bleibt ein Trost die Mittelohrentzündungen wachsen sich in aller Regel nach dem 8. Lebensjahr aus. Das bestätigt auch Brigitte Gschwend: «Meine beiden Buben haben seit Jahren keinen einzigen Rückfall mehr gehabt. Zum Glück!
Bewährte Hausmittel
Zwiebelwickel:
Eine grosse Zwiebel klein hacken und in ein vorgewärmtes Tuch einwickeln. Vorsichtig auf das betroffene Ohr legen. Mehrmals täglich wiederholen.
Weisskohlwickel:
Mehrere dicke Kohlblätter auf ein Küchentuch ausbreiten. Mit dem Wallholz bearbeiten, bis die Blätter mürbe werden und etwas Saft austritt. Ins Küchentuch einwickeln, einige Minuten in den vorgeheizten Backofen legen. Mässig warm aufs Ohr legen, dem Patienten eine warme Mütze über den Kopf stülpen.