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Trennen oder behalten?

Es betrifft uns alle, und nicht selten endet es in Diskussionen und Streit: das Aufräumen. In den vergangenen Monaten entstand ein regelrechter Hype um geordnete Schränke, Wohnungen und Häuser. Doch wie schafft man es im Alltag, Ordnung zu halten? Und was, wenn die eigenen Kinder oder der Partner nicht so wollen, wie man es gerne hätte? Martina Frischknecht alias Frau Ordnung kann hier Abhilfe verschaffen.

Bild: Oksana Shufrych/Shutterstock.com

Das Thema «Aufräumen» an sich ist nicht neu – im Gegenteil. Dennoch, Internet und Experten wie Marie Kondo sei Dank, entstand ein regelrechter Wettkampf darum, wer besser organisiert ist.

Das stimmt. Auch ich merke, wie das Thema in den letzten Jahren immer mehr in der Gesellschaft ankommt. Wir sind zum ersten Mal in der Geschichte an einem Punkt, in dem wir zu viel besitzen. Damit mussten wir noch nie umgehen. Mich rufen Kunden an, die sprichwörtlich vor einem Berg stehen und nicht wissen, wo oder wie sie anfangen sollen. Wir können heute überall und jederzeit einkaufen gehen – im Internet. Aber niemand hat uns gelehrt, damit umzugehen. Es ist ein Umdenken nötig von «ich kann alles haben» zu «was brauche ich und was tut mir gut?».

Wie war es denn bei Ihnen? Gab es einen speziellen Grund, warum Sie zu Frau Ordnung wurden? Sie sagten einmal, dass sie ganz klar kein geborener Ordnungsmensch waren.

Genau. Lange ging das gut, mit 100 Prozent Arbeit gab es zu Hause nicht viel Unordnung. Aber als ich Mutter wurde, stand alles Kopf – ich war ehrlich gesagt ziemlich überfordert. Ich musste mich ganz neu organisieren. Vor allem musste ich meinen Haushalt und Hausrat das erste Mal richtig ordnen. Dies habe ich mit viel Entrümpeln und einem System geschafft.

Was hat es grundsätzlich mit Aufräumen und Ordnunghalten auf sich? Weshalb kann das Ganze so befreiend oder eben auch beklemmend sein?

Befreiend ist es, sich von Ausgedientem zu trennen, aus dem man rausgewachsen ist und das nicht mehr zum heutigen Leben passt. Oft sehen meine Kunden aber diese Dinge gar nicht mehr. Eine Art Betriebsblindheit im eigenen Zuhause. Die Sachen gehören mittlerweile einfach zu ihrer Umgebung. Platz zu schaffen für neue Möglichkeiten ist wie eine neu geöffnete Tür. Oft höre ich von Kunden, dass sich nach dem Ordnungs-Coaching «etwas» in ihrem Leben bewegt hat.

Wie schafft man es denn effektiv, Ordnung zu halten?

Eine grosse Erleichterung ist es beispielsweise, sein «Wunsch-Ich» loszulassen. Bei mir waren es die tollen, teuren Jogging-Schuhe, denn ich wollte fit sein. Die Betonung liegt auf «sein», nicht werden. Unbewusst dachte ich wohl, wenn ich mir diese Schuhe kaufe, werde ich automatisch joggen gehen. Leider lief es nicht so – ich mag Joggen nicht wirklich. Ich habe mich von den Schuhen getrennt und versuche, mit Cross-Fit zu Hause fit zu werden. So etwas einzusehen und seine Wunschvorstellungen loszulassen, ist oft schmerzhaft. Aber wir lernen dabei eine Menge über uns und unser Kaufverhalten.

Und weshalb ist es so schwierig, reduziert und ordnungsliebend zu leben?

Ich mag das Wort reduziert nicht. Was ich immer wieder erklären muss: Ordnung ist nicht Minimalismus. Jeder Mensch hat seine eigene Wohlfühlordnung und das ist auch gut so. Nach einem Coaching muss es nicht karg oder reduziert sein. Es gibt Kunden, die ziemlich karg eingerichtet sind und trotzdem noch «Problemzonen» aufräumen möchten. Bei anderen Kunden, die mit der neuen Ordnung zufrieden sind, denke ich nach dem Coaching: «Also ich würde das jetzt nochmals heftig entrümpeln» – auf zu Runde zwei, quasi. Wichtig ist, dass eine Grundordnung und ein System besteht, bei dem klar ist, was geliebt und gebraucht wird und wohin es gehört. Und vor allem, dass man sich endlich wieder wohl fühlt.

Spätestens dann, wenn Kinder dazukommen, wird die Umsetzung dann aber schwierig.

Lustigerweise werde ich selten für Kinderzimmer gebucht. Da hat jede Familie ihre eigene Art, dies zu regeln. Aber wenn wir beim Kinderzimmer vorbeilaufen, sind meine Kunden dann doch immer froh, den einen oder anderen Tipp zu erhalten. Bei Familienhaushalten ist es wichtig, dass die Kinder ihren Platz haben und das auch wissen. Je kleiner die Kinder sind, desto häufiger sind sie natürlich dort, wo die Eltern sich aufhalten. Deshalb sollte, zum Beispiel im Wohnzimmer oder in der Küche, ein Behälter aufgestellt werden. So kann zwischendurch, bei Besuch oder abends, schnell und einfach aufgeräumt werden. Auch kleine Kinder verstehen das schon.

Und wenn sich das Kind strikt weigert, auch nur das kleinste Etwas wegzuwerfen?

Da hilft eines ziemlich gut – die Aussicht auf Belohnung. Bei mir geht das so: Vor dem Geburtstag meines Sohnes versuchen wir herauszufinden, wie viele Geschenke er wohl von Götti, Nona, Grosspapi und so weiter bekommt. Diese Anzahl Gegenstände wird dann ausgemistet. Lassen Sie Ihrem Kind dabei so viel Freiraum wie möglich. Bei uns waren es am Anfang ein Sudelblatt, ein ausgetrockneter Filzstift, ein kaputter Stoff-Frisbee und weiterer Kram, der eigentlich eh in den Müll gehörte. Aber jedes Mal wurden es mehr und mehr Dinge, die Sinn machten. In der Zwischenzeit staune ich manchmal, wie reflektiert sich mein Sohn von Dingen lösen kann. Oftmals sogar mit einem Vorschlag, wer daran noch Freude haben könnte. Das Gleiche machen wir vor Weihnachten und zweimal im Jahr vor der Kinderkleider-Börse. Dort ist die Motivation am grössten, da er einen Teil des Erlöses behalten darf. Natürlich wird damit wieder etwas Neues gekauft. Aber das ist dann ein neues Teil gegen sieben alte. Ich würde mal sagen – Deal.

Wie können Kinder grundsätzlich ans Thema «Aufräumen» herangeführt werden?

Indem es eine ganz natürliche Sache in der Familie ist. Routinen funktionieren bei Kindern besonders gut. Nach dem Aufstehen nimmt jeder seinen Teller und stellt ihn in die Abwaschmaschine. Abends werden die schmutzigen Kleider gleich in den Wäschekorb «geworfen». Möglichst von weit weg und kunstvoll – yeah. nach dem Aufstehen wird die Bettdecke zurückgeschlagen und gelüftet. Alles machbare «1-Minuten-Projekte», die in der Summe aber viel bringen.

Was darf denn in welchem Alter verlangt werden?

Kleine Kinder machen gerne alles nach, da die Eltern ihre grossen Vorbilder sind. Es ist einfach, spielerisch mit ihnen Ordnung zu machen. Irgendwann nimmt das Interesse wieder ab. Umso besser, wenn Routinen bereits eingeführt wurden und selbstverständlich zum Tages- und Wochenablauf gehören. In der Pubertät kann Ordnung machen in absoluter Verweigerung enden. Unsere Kids wollen alles anders machen als ihre Eltern. Das ist ein gesunder Abnabelungsprozess. Da heisst es «Nerven behalten». Denn ich bin fest davon überzeugt, dass alles, was unsere Kinder als selbstverständlichen Ablauf gelernt und vorgelebt bekommen haben, sie später wieder in ihren Alltag aufnehmen.

Wie viele «Rechte» haben die Kinder in ihrem eigenen Zimmer?

Wichtig finde ich, dass sie dort nicht immer nach unseren Vorstellungen leben müssen. Sie fühlen sich oft wohl, wenn nicht alles clean und an seinem Platz ist. Ihr Kinderzimmer ist der einzige Raum, der allein ihnen gehört und wo sie auch einmal ein Projekt stehen lassen dürfen, um später daran weiterarbeiten zu können.

Nicht nur mit Kindern, sondern auch in der Partnerschaft kann das Thema zu Konflikten führen. Während es der eine lieber aufgeräumt mag, macht es dem anderen nichts aus, Socken hinter dem Sofa zu finden oder die Zahnpasta eben offen zu lassen. Haben Sie hier einen Tipp?

Ich rate immer dazu, sich auf seine eigene (Un-)Ordnung zu konzentrieren. Meist gibt das schon genug zu tun. Den anderen ändern zu wollen, ist oft erfolglos. Ich bekomme aber immer wieder Feedback von Kunden, bei denen der Partner plötzlich auch anfängt, die Garage oder das Büro zu räumen. Ordnung machen kann ansteckend sein. Probieren Sie es aus.

Welche Tipps können sonst noch in den Alltag integriert werden?

Das Loslassen ist ein Prozess. Hat mein Kunde einmal begriffen, um was es geht und wie sich loslassen anfühlt, kommt er oft in einen Flow – dann kommen wir richtig gut voran. Hier meine besten Tipps, die ich meinen Kunden gebe:

  • Lass dir im Baumarkt zusätzliche Regalböden zuschneiden für Küchen-, Einbau- und Kleiderschrank. Das schafft viel Platz.
  • Finde für alles einen Platz – vor allem für Dinge, die du neu in dein Zuhause bringst. Ich hatte einen Kunden, bei dem nach und nach fünf Locher zum Vorschein kamen. Jedes Mal, wenn er einen brauchte, fand er ihn nicht und kaufte einen neuen …
  • Wenn du etwas Tolles beim Shoppen siehst, leg es wieder hin und warte eine Woche. Es kann gut sein, dass du das Teil bereits nach einem Tag vergessen hast.
  • Wenn du Mühe beim Loslassen hast, frage dich, ob du es heute wieder kaufen würdest. Wenn nicht, dann lass es gehen.
  • Schaffe dir Routinen. Abends fünf Minuten durch die Wohnung gehen und Ordnung machen. Nach dem Kochen gleich abwaschen. Nach dem Aufstehen das Bett machen … und so weiter.

Und zum Schluss noch eine persönliche Frage: Wie dürfen wir uns die Wohnung von Frau Ordnung vorstellen? Alles blitzeblank aufgeräumt, sogar dann, wenn unangemeldet Besuch vor der Türe steht?

Ich mags ordentlich, schaffe es aber nicht immer, meinen Ansprüchen zu genügen. Manchmal stresst das. Aber mir ist es wichtiger, dass Leben durch unser Zuhause wirbelt. Mit Gspändli, die rumalbern, Abenteuern, die wir inszenieren und Familienzeit zu haben. Das toppt keine aufgeräumte Wohnung. Und ganz ehrlich: Wenn die Sonne scheint, geniesse ich das tolle Wetter lieber draussen mit meinem Sohn, anstatt die Wohnung piccobello aufzuräumen. Das ist meine persönliche Ordnung – und das passt.