Nicht immer verläuft eine Schulkarriere gradlinig. Manchmal wird eine Klasse wiederholt oder eine Schulstufe gewechselt. Oft, aber nicht immer sind dabei die Schulleistungen ausschlaggebend. Für die Beteiligten bedeutet dieser Schritt meist eine Herausforderung.
Übertritt als Chance
Am Ende der Primarschule waren die Noten von Linus zwar nicht schlecht, aber für den Übertritt in die Bezirksschule doch eher zu knapp. Die Bezirksschule entspricht im Kanton Aargau dem höchsten Niveau an der Oberstufe. Während die Lehrperson für Linus die Sekundarschule empfahl, machten sich seine Eltern für den Übertritt an die Bezirksschule stark und setzten sich durch. Der Start an der neuen Schule verlief von Anfang an harzig. Schon bald zeichnete sich ab, dass Linus insbesondere in den Hauptfächern nur mit Mühe mithalten konnte. Der Junge fühlte sich in der Klasse nicht wohl und schien zu resignieren. Deshalb haben Eltern nach einem Gespräch mit den Lehrpersonen beschlossen, dass Linus nach einem halben Jahr an die Sekundarschule wechseln kann. Ein Schritt, der sich gelohnt hat. Nun kommt Linus mit den schulischen Anforderungen besser zurecht und hat sich in der neuen Klasse gut eingelebt.
Gründe für einen Wechsel
Das ganze Leben ist gezeichnet durch Übergänge und Veränderungen. Das bekommen bereits die Kinder zu spüren – zum Beispiel in der Schule. Sie erleben Übergänge von der ersten Stufe im Zyklus 1 (ehemals Kindergarten) in die erste Primarschulklasse vom Kindergarten in die Primarschule und dann jedes Jahr in die nächsthöhere Klasse. Nach sechs Jahren folgt der nächste grosse Schritt an die Oberstufe und später in eine Berufslehre, Mittelschule oder ans Gymnasium. Nicht immer verlaufen diese Übergänge und Schnittstellen problemlos. Wenn die Schulleistungen nicht den Vorgaben entsprechen oder wenn ein Kind aufgrund seiner kognitiven Fähigkeiten gar unterfordert ist, wenn sich das Kind in der Klasse nicht mehr wohlfühlt, wenn ein Wohnort- und somit auch ein Schulwechsel ansteht, werden die Übergänge nicht selten zur Herausforderung für alle Beteiligten: Kinder, Eltern und Lehrpersonen. Die Schulbiografie verläuft dann je nach Situation möglicherweise nicht mehr ganz gradlinig; vielleicht muss eine Klasse wiederholt oder die Schulstufe nach unten oder oben gewechselt werden.
Vorbereitung und Zeit
Was bedeuten solche Veränderungen für das Kind? Für Philipp Ramming aus Hinterkappelen, ehemaligen Präsident der Schweizerischen Vereinigung für Kinder- und Jugendpsychologie, kommt es darauf an, wie das Kind auf den Übergang vorbereitet und von den Eltern und Lehrpersonen mitgetragen wird. «Kinder passen sich in der Regel schnell an neue Situationen an, auch wenn sie ihre alten Freunde verlassen und einen neuen Kollegenkreis aufbauen müssen, was sicher nicht immer ganz einfach ist.» Um eine für das Kind optimale Lösung zu finden, braucht es vor allem eines: Zeit. «Ein Verständnis für die Situation von allen Beteiligten ist bestimmt zielführend; und selbstverständlich muss das Kind in den Prozess altersgerecht mit einbezogen werden, so, dass es auch die nötige Zeit hat, sich mit der neu entstehenden Situation anzufreunden und schlussendlich zurechtzufinden», sagt Dagmar Rösler, Präsidentin des Dachverbandes Lehrerinnen und Lehrer Schweiz (LCH).
Erzählen, wie es einem geht
Im Vorfeld einer solchen Veränderung kommen nicht selten die Kinder- und Jugendpsychologinnen und -psychologen ins Spiel – vor allem dann, wenn das Kind in der Schule leidet und daher auf eine psychologische Unterstützung angewiesen ist. «Die betroffenen Kinder sind oft froh, wenn sie uns erzählen können, wie es ihnen geht und was sie bedrückt. Es tut ihnen gut, zu erfahren, dass jemand ihre Situation versteht», beobachtet Philipp Ramming. Meist spüre das Kind selbst, wenn es über- oder unterfordert ist.
Die Rolle der Eltern
Wenn das Kind leidet, sei es wegen Über- oder Unterforderung oder beispielsweise Mobbing in der Klasse, leiden auch die Eltern mit. Um dem Kind den Übergang in eine neue Klasse, Schule oder Schulstufe zu erleichtern, spielen die Eltern, so Philipp Ramming, eine wichtige Rolle. «Es hilft dem Kind, wenn die Eltern diesem Übergang mit Neugier, einer positiven Einstellung und ohne vorgefasste Meinung entgegensehen. Sie müssen überzeugt sein, dass das Kind vom Wechsel profitieren wird.» Wichtig sei jedoch: Der Wechsel in eine andere Klasse dürfe nicht als Scheitern betrachtet werden, vielmehr als Chance für neue Erfahrungen. «Manchmal ist es schwierig, zu akzeptieren, dass die Laufbahn des eigenen Kindes nicht immer so verläuft, wie man sich das vorgestellt hat. Auch hier braucht es Zeit und eine gute Begleitung von Seite der Schule, damit sich Eltern und Kinder auf den neuen Weg einstellen können», erklärt Dagmar Rösler. Es sei ja nicht immer schlecht, wenn ein Klassen- oder Schulwechsel stattfindet. «So ein Schritt kann zum Beispiel eine schwierige Situation auflösen; das Kind kommt in eine Stufe, in der es nicht unter- bzw. überfordert ist. Zuweilen entspricht die Jahrgangsklasse nicht unbedingt dem Entwicklungsstand des Kindes. Dann muss man eine individualisierte Lösung finden», begründet Dagmar Rösler.
Am gleichen Strick ziehen
Entscheidend für einen erfolgreichen Übergang sei auch, wie das Gespräch zwischen Eltern und Lehrperson verlaufe. Hier gelte es, sich auf eine gemeinsame Linie zu einigen und am gleichen Strick zu ziehen – zum Wohl des Kindes. «Eltern können ihre eigenen Kinder meist gut einschätzen und wollen ja nur das Beste für sie», sagt die LCH-Präsidentin. Doch: «Wenn sich dann aber die Meinung der Schule nicht mit den Vorstellungen der Eltern deckt, braucht es auch hier wieder Zeit, bis ein gemeinsamer Weg gefunden wird.» Dagmar Rösler fordert einen Kontakt auf Augenhöhe mit allen Beteiligten. Dabei sollte stets das Wohl des Kindes im Fokus behalten werden. Die Kommunikation mit dem Kind spiele hier ebenfalls eine zentrale Rolle.
Konsens finden
Leider verlaufen Übertrittsgespräche nicht immer im gegenseitigen Einvernehmen. Regelmässig liest man in den Medien von Gesprächen zwischen Lehrpersonen und Eltern, die einen Anwalt einschalten, um ihre Ziele juristisch durchzusetzen. Das sei jedoch nicht zielführend, betont Philipp Ramming: «Die Schule darf sich nicht auf einen Kampf mit den Eltern einlassen. Ein juristischer Streit bedeutet auch für das Kind Stress und vor allem ein Loyalitätsproblem, weil es ja auch eine gewisse Beziehung zur Lehrperson aufgebaut hat.» Die Parteien sollten sich bereits im Vorfeld darauf einigen, wie sie vorgehen wollen, wenn kein gemeinsamer Konsens gefunden werden kann, empfiehlt der Kinder- und Jugendpsychologe. Ein solches Vorgehen könnte zum Beispiel bedeuten, das Kind für ein halbes Jahr in die von den Eltern gewünschte Klasse zu schicken und dann Bilanz zu ziehen: Wie geht es dem Kind? Wie sehen seine Schulleistungen aus? Was sagen die Lehrpersonen? «Das Wohlbefinden des Kindes steht im Zentrum. Kommt es in der neuen Klasse oder mit der Schule nicht zurecht, sollten die Eltern eine Lösung suchen, die den Bedürfnissen und Fähigkeiten des Kindes entspricht», betont Philipp Ramming.