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Vom Talent zum Profi

Nur ein Bruchteil aller sportlich talentierten Kinder werden später Profis. Eltern sollten ihr Kind fördern, jedoch nicht überfordern.
Samstag, 19.30 Uhr. Noah ist noch nicht vom Match gegen den FC Wil zurück.

Bild: © Shutterstock

Sein Vater hat ihn wie immer begleitet. Da wir keinen Termin mit Noah unter der Woche finden konnten, sitze ich heute Abend im Wohnzimmer der Familie Okafor und warte mit dem Rest der Familie, mit Nicole, der Mutter des Nachwuchs-Fussballers, sowie mit Sona (15), Elijah (10) und Isaiah (8) auf Vater und Sohn. Nicole Okafor erzählt aus ihrem Alltag, in welchem der Fussball das Leben bestimmt. „Der Fussball, und was noch so alles dazugehört, ist eine enorme Bereicherung für alle. Die ganze Familie steht voll dahinter. Sonst geht das auch gar nicht.“ In dieser Familie gilt dies ganz besonders. Denn bei den Okafors ist nicht nur der 13-jährige Noah das grosse Talent. Auch die jüngeren Brüder, Elijah und Isaiah spielen schon beim begehrten Fussballclub FC Basel.

Spass am Sport

Der normale Alltag mit Sportkids ist anders – Sport dominiert das Leben. Schule oder Lehre, Lernen und Hausaufgaben müssen neben dem täglichen Training Platz finden, vieles wird erst am Abend erledigt. Freizeit, so wie andere sie verbringen, gibt es praktisch nicht. Allerdings scheint dies für Noah oder seine Brüder kein Problem zu sein. Der junge Stürmer hat inzwischen im blauen Trainingsanzug des FCB auf dem Sofa Platz genommen. „Mir macht es Spass, zu trainieren und meine Freunde im Training zu treffen. Klar ist es manchmal etwas viel, aber ich gehe sehr gerne hin“, erklärt er. Noah trainiert bereits in der U15 (Mannschaft unter 15 Jahren), und Elijah und Isaiah sind in den Kinderfussballmannschaften U11 und U9 aktiv, was heisst: fast täglich Training im FCB-Campus in Basel. „Natürlich ist das alles auch recht anstrengend“, gibt der Vater, Christian Okafor, zu. „Aber wir machen dies gerne, weil wir sehen, dass die Kinder Freude dabei haben. Das ist das Wichtigste.“

Einer von tausend

Viele Kinder sind talentiert, jedoch reicht dies bei Weitem nicht aus. Viele Faktoren spielen eine Rolle, um ein Talent zum Sportprofi zu machen: Spass am Sport. Leidenschaft. Wille zum Erfolg. Disziplin. Selbstständigkeit. Vor allem muss die Familie voll hinter dem Kind stehen, dies scheint gar der ausschlaggebende Faktor zu sein. Das ergab eine Studie des Instituts für Sportwissenschaften der Universität Bern (ISPW), die untersuchte, welche Umstände eine erfolgreiche Fussballerkarriere begünstigen. „Fehlt die Unterstützung der Familie“, erklärt Studienmitarbeiter Marc Zibung, „kann eine Karriere selbst dann scheitern, wenn alle anderen Bedingungen erfüllt sind.“ Daher ist eine grundsätzliche Sportaffinität in der Familie notwendig, zum Beispiel mit sportlich aktiven Eltern oder älteren Geschwistern in einer Vorbildrolle. Das gilt selbstverständlich auch für alle anderen Sportarten, sei es Mannschaftssport oder eine Einzelsportart wie Kunstturnen oder Tennis. Ein früher Kontakt mit Fussball, so ein weiteres Ergebnis der Studie, wirke sich ebenfalls positiv aus. „Manche der Befragten können sich nicht daran erinnern, ob sie zuerst „tschutten“ oder gehen konnten“, sagt Marc Zibung. Ein weiterer Erfolgsfaktor: von Kindesbeinen an einfach viel Fussball spielen. Ob man länger im Dorfklub spielt oder schon früh im Profiklub ist für die Fussballerlaufbahn ebenfalls unerheblich. Darum empfehlen die Fachleute, lieber zuzuwarten und viel im kleinen Klub zu spielen, um sich dann mit etwa zwölf Jahren für einen Profiklub zu entscheiden. Egal, um welche Sportart es geht – diese Zahlen nehmen (hoffentlich) ambitionierten Eltern den Erfolgsdruck: Unter den 10-jährigen Sportlern sind 10 Prozent ein potenzielles Talent, davon schafft es nur ein Prozent zum Profi. Benjamin Müller, Nachwuchscoach beim Fussballclub Basel: „Um eine Spitzenleistung zu erbringen, muss man zehn Jahre oder 10’000 Stunden üben, das heisst, während 10 Jahren drei Stunden täglich trainieren.“

Was Eltern richtig machen

Sicher haben die wenigsten Eltern schon im Kleinkindalter den Plan gehegt, dass ihr Kind Weltmeister/-in werden könnte. So erging es Barbara und Felix Weber aus Hinwil, deren Tochter Jasmin letztes Jahr U16-Schweizer Meisterin im Triathlon und Duathlon wurde. Und auch hier gilt: Ein Talent kommt selten allein. So tritt die 13-jährige Anja, die Schwester von Jasmin, bereits als Langläuferin und Biathletin in die Fussstapfen ihrer Schwester. „Als die Kinder klein waren, habe ich nicht gedacht, dass eine von ihnen oder beide so gute Sportlerinnen werden würden“, sagt Barbara Weber. „Man wächst mit der Zeit hinein, und das ist auch gut so!“ Jasmin und Anja wollen Erfolg und haben Spass, Leistung zu erbringen. Die Eltern haben dies nie verlangt. „Anja will immer aufs Podest“, sagt Barbara Weber lachend. Die Motivation zur Höchstleistung und zum harten Training müssten vom Kind aus kommen, weiss sie aus Erfahrung. Jan, der ältere Bruder, sei ebenso sehr polysportiv, jedoch nicht der Wettkampftyp. Irgendwie geht es einfach los, und irgendwann ist man mitten drin im Leistungssport. Bei Jasmin war es die regelmässige Teilnahme an Kinderläufen und Stadtläufen, mit neun Jahren begann das Training im Schwimmclub Uster, gefolgt von der ersten Einladung zum Probetraining, und mit elf Jahren bestritt Jasmin ihren ersten Triathlon-Wettkampf. Letztes Jahr konnte sie internationale Luft schnuppern: Sie qualifizierte sich zusammen mit zwei weiteren Athletinnen für die U18-Jugend-Team-EM in Holland und erreichten dort den 7. Rang. Jasmin bestreitet nun Nationalkader von Swiss Triathlon. Spass spielt für die junge Sportlerin dabei immer noch die Hauptrolle: „Ich lerne viele Leute kennen, das ist cool. Zum Teil ist das Training härter, vor allem vor den Wettkämpfen, aber das macht mir nichts aus.“ Die vorgestellten Eltern der Nachwuchssportler machen es richtig: Sie sind Chauffeur, Manager, Sponsoren, die Stützen im Hintergrund, sie erziehen ihre Kinder zur Selbstständigkeit, sie halten ihnen den „Rücken frei“. Und sie mischen sich nicht gross ins Training ein. Eltern seien gut beraten, ihre Versuchung, Einfluss auf den Trainer/die Trainerin zu nehmen, zu zügeln. Etwa, weil sie ihm/ihr nicht zutrauten, „ihr Sporttalent“ richtig zu fördern, raten Fachleute.

Den Spagat schaffen

Dank Organisation und Arbeitsteilung klappt der Alltag, trotz voller Terminpläne. Felix Weber: „Meine Frau managt alle Termine und fährt die Jüngere zu den Trainings. Ich bin für das Material zuständig, schaue, dass es in Ordnung ist und mache es abends parat. Ich begleite die Kinder auch fast immer zu den Wettkämpfen. „Jasmin fährt selbstständig mit dem öffentlichen Verkehr zum Lauf oder Schwimmtraining. Teilweise trainiert sie alleine anhand des Trainingsplans, den sie am Sonntagabend vom Trainer erhält. Auch die Familie Okafor ist durchorganisiert. Die Mutter fährt ihre Söhne täglich um vier Uhr nachmittags ins Training nach Basel, der Vater, der im nahen Frick als Automechaniker arbeitet, holt alle um acht Uhr wieder ab. Wie schaffen es die Kinder und Jugendlichen, Schule und intensives Training unter einen Hut zu bringen? Kinder, die sich zu Sportprofis entwickeln, besuchen ab einem gewissen Alter oftmals eine Sportschule. Dies macht das Leben einfacher, da dort der Stundenplan an die Trainingszeiten angepasst wird. Jasmin besucht seit dem letzten Schuljahr in Zürich eine Sportklasse des Gymnasiums Rämibühl. Sie absolviert die Matur in fünf anstatt vier Jahren, trainiert ausschliesslich ihre Sportarten und nimmt an zwei Vormittagen an Schwimmtrainings teil. Auch Noah wechselt im Sommer auf die Sportschule Pratteln. Dann werde es sehr viel einfacher, alles unter einen Hut zu bringen, so Nicole Okafor.

Linktipps:

www.swissolympic.ch
www.talentcare.ch