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Von Zauberbäumen und Feengärten

Der harzige Geruch der riesigen Tannenbäume, das Berühren von weichem Moos und das Entdecken von unzähligen kleinen Waldbewohnern – ein Waldspaziergang im Herbst regt nicht nur die Sinne unserer Kinder an, sondern macht Spass und ist erst noch gut für ein starkes Immunsystem.

Bild: Natalia Kirichenko/shutterstock.com

«Kinder brauchen Bäume», ist Universitätsprofessor und Buchautor Prof. Dr. Maximilian Moser überzeugt. «Für Kinder sind kräftige Bäume ein Symbol und ein Vorbild, das ihnen Stärke in ihrem Leben gibt. Sie schaffen Vertrauen und das Gefühl, beheimatet zu sein.» Wenn Kinder einen Baum zeichnen, so könne der geschulte Psychologe sofort sehen, wie das Kind in seiner Familie verwurzelt ist und wie es sich nach aussen hin entwickeln kann. Denn wie kein anderes Pflanzenwesen sei ein Baum ein Symbol für den Menschen und seine Entfaltung. Bäume zeigen, wie ein Mensch in der Welt steht, ob er in der Realität verwurzelt ist und sich mit der Wichtigkeit gut verbinden, ob er sich entfalten und wachsen kann, so wie es seiner Bestimmung entspricht. «Nicht umsonst werden Bäume in der Kunst als Symbole für den Menschen gesehen und sprechen uns auch so tief an.»

Geheimnisvolle Wälder

Professor Moser ist fünffacher Vater und weiss, mit welcher Begeisterung Kinder einem selbst erzählten Märchen zuhören. Sie sind fasziniert von allem Zauberhaften, dem Ungewöhnlichen und dem Geheimnisvollen. Genau dies erleben Kinder, wenn ihnen die Gelegenheit geschenkt wird, durch Wälder zu streifen, wo noch Flechten von den Bäumen hängen oder wo Moos den Waldboden bedeckt und Pilze dazwischen ihren Hut hervorstrecken. In solchen – möglichst unaufgeräumten und wilden – Wäldern gibt es vieles zu entdecken, das die Fantasie anregt, weil es an Naturwesen und Gestalten aus Märchen und Sagen erinnert. Insbesondere auch Waldränder oder Lichtungen sind mit ihren Verstecken und Beobachtungsmöglichkeiten beliebte Spielplätze für Kinder und gleichzeitig natürlich Lebensräume für Vögel und andere Säugetiere. «Aus all diesen Gründen wäre auch die Erhaltung der artenreichen Waldränder so extrem wichtig», wünscht sich Professor Moser. «Allerdings fallen heutzutage diese ökologisch wertvollen Waldzonen leider oft einer verrückten Förderungspolitik zum Opfer, da die Förderungen der EU für Wälder wesentlich geringer ausfallen. Grünland und Waldbauern dadurch seit einigen Jahren gezwungen seien, die Waldränder regelmässig zurückzuschneiden, da ihre Flächen über Satellitenbilder von der EU kontrolliert werden und Förderungen bei Ausbereitung der Wälder zurückgezahlt werden müssen. So werden die ökologisch wertvollsten Flächen systematisch zurückgestutzt und zerstört.»

Der Duft von frischen Harzen

«Was wir im Wald etwa als Harz von Nadelbäumen wahrnehmen, ist eine vielfältige Mischung verschiedenster Stoffe wie etwa Terpenen und ätherischen Ölen, die jeweils mit ihrem Geruch zum Gesamteindruck beitragen», erklärt Professor Moser weiter. Doch dieser Duft von frischen Harzen, der einem bei einem Spaziergang im Wald in der Nase kitzelt, bringt weit mehr als nur gesteigertes Wohlbefinden. So konnte Prof. Dr. Qing Li, ein japanischer Forscher, der das durch ihn bekannte Phänomen Shinrin-yoku – zu deutsch Waldbaden – seit den 1980er-Jahren erforscht, nachweisen, dass genau dieses Waldbaden auch zahlreiche positive Effekte auf die Gesundheit hat. Dazu gehören beispielsweise die Blutdrucksenkung, ein tiefer Ruhepuls, die Steigerung der Immunabwehr durch die Produktion und Aktivierung der natürlichen körpereigenen Killerzellen, die Erhöhung von Anti-Krebs-Proteinen und die Stressreduktion. Er bewies in seinen Studien, dass besonders das Einatmen von Terpenen, also den Botenstoffen, die Bäume zur gegenseitigen Kommunikation verströmen, uns Menschen guttut. Es sind allerdings nicht nur die Bäume, auch das Moos, die Mikroorganismen und die Sträucher wirken in einzigartiger Weise zusammen und erzeugen ein Klima, das besonders gesundheitsfördernd ist. Mit dem Waldbaden ist also nicht etwa das Baden in einem Waldsee gemeint. Der Vergleich passt jedoch: Ähnlich wie in einem See können wir auch in einen Wald mit allen Sinnen regelrecht eintauchen. Japanische Autoren übersetzen Shinrin-yoku deshalb meistens als «Einatmen der Waldatmosphäre». Ausgedehnte Wanderungen und auch gezielte Atem- oder Bewegungsaktivitäten im Wald sind deshalb für Gross und Klein Balsam für Körper und Seele.