Unter den steigenden Alltagsanforderungen des Familienlebens werden immer mehr Eltern krank – es droht das Burnout-Syndrom, welches bisher vor allem aus dem Arbeitsleben bekannt ist. Wir zeigen ausgebrannten Eltern, wie und wo sie neue Kraft auftanken können.
Was stresst Familien?
Stress kennt jeder, egal ob Mann, Frau oder Kind. „Ich ging wegen ständiger Bronchitis der Kinder zum Arzt“, erzählt die 37-jährige Sylvia Bien, die zwei Söhne im Alter von drei und vier Jahren hat, zu diesem Thema. Er sagte: <Mit ihnen stimmt etwas nicht!> Innerhalb einer Woche schickte er mich Arzt zur Kur. Bei der Einstellungsuntersuchung erlitt ich einen totalen Zusammenbruch. In der ersten Woche lag ich im Bett, und es war nur ein Rauschen in meinem Kopf.“
Was Sylvia Bien erlebte, war das Ende eines langen Erschöpfungsprozesses. Sie litt an Burnout, aus „Ausgebrannt-Sein“, wie man hierzulande dazu sagt. Die Ursache von Burnout ist lang anhaltender Stress. Theoretisch könnte ein Burnout jeden treffen. Allerdings dauert es lange, oft Jahre, bis es zu einem Zusammenbruch kommt. Denn Menschen sind eigentlich prädestiniert dazu, mit Stress zu leben.
Bis vor nicht all zu langer Zeit galt die Familie als Keimzelle, als Rückzugshort, in dem sich die zugehörigen Mitglieder sicher und geschützt fühlten, in dem sie Erholung tanken konnten. In unseren Köpfen spukt diese Idealfamilie auch immer noch herum. „Ich erinnere mich noch an eine Situation aus meinem Studium“ erzählt Melanie Schuster, 37, Mutter zweier Mädchen im Kindergartenalter, auf die Frage, wie sie sich ihre Familie vor der Gründung vorgestellt hatte. „Ich saß in der Bibliothek und schaute raus. Da ging im Park eine Mutter mit Kinderwagen spazieren. Ich dachte: <Haben die es gut, die haben ein schönes Leben.> So habe ich mir das vorgestellt: Man geht entspannt Kaffee trinken und hat sein süßes Baby dabei. Man geht gemäßigt einkaufen und auf den Spielplatz und die Kinder sind artig.“
Melanie Schuster stellte wie viele andere Mütter und Väter fest, dass ihre Familie in der Realität nicht so aussah, wie in ihren Träumen. Ihrem Mann erging es ähnlich. Obwohl er durch seinen Beruf als Jurist viele Stresssituationen gewöhnt ist, fühlt er sich doch oft von den Familienpflichten, die er eigentlich gern erfüllt, überfordert.
Die falschen Erwartungen sind aber nur ein Grund für Stress in der Familie, der in letzter Konsequenz zum Burnout führen kann.
Burnout ist dort möglich, wo folgende Aspekte zutreffen:
• Ständige organisatorische Umstellungen
• Zunehmende, immer neue, rasch wechselnde Anforderungen
• Zeitdruck oder zu großes Pensum in zu kurzem Zeitrahmen
• Wachsende Verantwortung
• Nacht- und Schichtarbeit
• Schlechte Kommunikation unter den Beteiligten
• Diskrepanz zwischen anfänglich hohen Erwartungen und der desillusionierenden Realität
• Menschen arbeiten in helfenden Berufen, die emotionales Engagement verlangen
(Vgl. Volker Faust, Volker: Seelische Störungen heute, München 2003, S. 119ff.).
Die Merkmale von Burnout treffen durchaus auch auf den „Beruf Eltern“ zu. Denn beide Eltern müssen quasi über Nacht neue Rollen übernehmen. Die Aufgaben verändern sich von Tag zu Tag, je nachdem, in welcher Phase das Kind ist und ob es an Krankheiten leidet. Mit Kindern geschieht alle Erwachsenenarbeit unter Zeitdruck, weil die Kleinen die Großen ständig unterbrechen. Werden die Kinder älter, wächst die Verantwortlichkeit, denn dann stehen Kindergarten, Schule und Freizeitaktivitäten mit Verpflichtungen auf dem Programm der Familie. Regelmäßiger Schlaf ist jahrelang ein Fremdwort. Den Eltern fehlen meist Zeit und Energie, sich mit ihrem Partner auseinander zu setzen, geschweige denn, Freizeit miteinander zu verbringen. Weder Mann noch Frau haben die Situation so erwartet. Und: Eltern arbeiten mit Menschen, mit Gefühlen, und das sehr engagiert. Es gibt wohl keinen „Job“, bei dem Erwachsene mehr emotional berührt sind, als wenn sie Eltern werden.
Stress: 1. Phase – Alarmphase
- Hormone Adrenalin und Noradrenalin werden ausgeschüttet
- Zucker- und Fettreserven des Körpers werden angegriffen
- Verdauungs- und Sexualfunktionen werden vermindert
- Immunabwehr wird geschwächt
- Blutgerinnungsfähigkeit wird erhöht
Stress: 2. Phase – Anhaltender Stress
- Erhöhte Konzentrationen der Nebennierenhormone schwächt die zentrale Steuerung des Immunsystems nicht abgebaute Fettsäuren im Blut beschleunigen Arteriosklerose
- verstärkte Blutgerinnungsfaktoren erhöhen Thromboseneigung
- andauernde Verschiebung der Balance im vegetativen Nervensystem vergrößert Infarktrisiko
- erhöhte Magensäureproduktion und Darmverkrampfungen führen zu Magen- und Darmgeschwüren
- Sexualfunktionen werden beeinträchtigt
Konzentrations- und Lernschwierigkeiten
Stress in der Familie
Das Eltern-Sein bedeutet eine Menge Stress. Mehr als jeder andere Job. Und dieser ist nach acht Stunden zu Ende und man kann ihn kündigen, wenn man möchte. Als Vater oder Mutter ist man 24 Stunden sieben Tage im Dienst und eine Kündigung ist eigentlich nicht vorgesehen. Was nicht heißt, dass sie nicht oft genug in Form einer Trennung geschieht.
Was Eltern vor allem belastet, sind vielen kleinen Alltagshandlungen, die sich, so wie sie ablaufen, zu einer großen Belastung summieren können.
Einer davon ist das Einkaufen, das mit Kindern noch viel mehr notwendig ist als vor der Familiengründung. Aber mit den Kleinen Einkaufen heißt oft Stress pur. Kinder hassen Warten an Kassen und vor Verkaufsständen. Zudem finden sie das Einkaufen zunehmend langweiliger je älter sie werden.
Auch Verreisen vor allem mit kleinen Kindern ist selten mehr als Tapetenwechsel, meist ist der Alltag am Urlaubsort viel anstrengender als zu Hause, weil die Routine von dort fehlt.
Das Thema Schlafen verursacht bei vielen Eltern ein Augenrollen. Denn nicht ohne Grund gibt es unzählige Artikel, Ratgeberbücher und Arzttermine, weil Kinder den Schlafrhythmus von Eltern nicht teilen. Insbesondere Babys und Kleinkinder verlangen jahrelang jede Nacht nach einem Elternteil, entweder weil sie gefüttert und gewickelt werden müssen oder weil sie krank sind. Und viele Kinder schlafen keineswegs problemlos ein. In nicht wenigen Familien brauchen die Eltern Stunden, bis ihre Kleinen endlich friedlich schlummern.
Unerwartet anstrengend empfinden viele Väter und Mütter die Streitigkeiten zwischen Geschwisterkindern. Meist bekommen sie ein zweites und drittes Kind, um für ihren kleinen Prinzen einen Spielkameraden in der Familie zu haben, aber diese Rechnung geht nicht immer auf. Oft werden die Nachfolger zu erbitterten Konkurrenten um die Liebe der Eltern.
Eine weiteres Risiko sind kranke Kinder. Kein Paar kann sich vorstellen, ein Kind zu bekommen, das körperliche oder psychische Handicaps hat. Und dennoch betrifft es viele Eltern, die zudem manchmal lange Jahre brauchen, um herauszufinden, was ihrem Kind eigentlich fehlt. Es ist fast immer nur von ebenfalls Betroffenen nachzuvollziehen, welche enormen Anstrengungen es kostet, ein krankes Kind groß zu ziehen.
All diese Faktoren haben eine fatale Wirkung: Sie belasten die Beziehung zwischen den Eltern. „Das Schwierige ist“, meint Peter Bien, 40, Vater eines drei- und eines vierjährigen Jungen, „dass man fast keine Zeit mehr füreinander hat. Tagsüber ist man zwar zusammen, aber es dreht alles mehr oder weniger um die Kinder. Außerdem muss man die normalen Dinge erledigen, Haushalt und was noch anfällt, wenn man eine Familie und eine Wohnung hat. Und abends, wenn die Kinder im Bett sind, ist der Akku leer. So dass es schwierig wird, sich zu unterhalten oder auszugehen. So bleibt das, was normale Partnerschaft ausmacht, ein bisschen auf der Strecke.“ Viele Ehen scheitern an der Belastung durch die Kinder, weil beide von der Situation und auch oft vom Partner enttäuscht sind.
Es ist aber nicht nur das Paar, für das keine Zeit bleibt, es sind auch die Hobbys, der Sport, die Freunde, für die vor allem junge Eltern oft noch nicht einmal eine Stunde pro Woche finden. Das Eltern-Sein wird zum Dauerlauf im Hamsterrad. Ohne Pause.
Doch nicht bei allen Eltern muss diese permanente Überanstrengung zum Burnout führen. Denn je nach persönlicher Konstitution haben Männer und Frauen eine sehr unterschiedliche Stresstoleranz. Was für den einen Stress bedeutet, ist für den anderen eine kurzzeitige anstrengende Situation. Was man allerdings weiß: Empfindet ein Mensch Stress und dauert dieser lange Jahre, in denen es wenig Zeit für Erholung gibt, dann ist er zumindest Burnout- gefährdet. Denn der Körper sammelt die Stressphasen, so lange bis es Erholungszeiten gibt. Da der Mensch dieses Potential besitzt – den Stress abzubauen -, landen wenige Eltern in der letzten Phase der Burnout-Spirale.
Die Phasen des Burnout
1. Überengagement, Beruf wird zum Lebensinhalt, betrifft vor allem Mütter
2. Reduziertes Engagement, das ist für Eltern nicht möglich
3. Emotionale Reaktionen wie Depression und Aggression, Schuldzuweisungen
4. Leistungsabbau, Dienst nach Vorschrift oder Flucht ins Büro
5. Verflachung, Rückzug von Freunden und Außenaktivititäten, Isolation
6. Psychosomatische Reaktionen, wie Infektionskrankheiten, Schlafstörungen
7. Gefühl existentieller Hilflosigkeit und körperlicher Zusammenbruch.
(Vgl. Matthias Burisch, Das Burnout-Syndrom, S. 17ff.)
Die 3. Phase ist es, die Partnerschaften vor allem belasten. Denn in ihr treten die Aggressionen auf, die jeder kennt: Streitigkeiten um alles und jeden, die Anlässe werden mit der Zeit immer beliebiger. Beide Partner machen den jeweils anderen verantwortlich für die Situation: „Es ist nur, weil du …!“ „Du machst immer …“ etc.
Der kleine Unterschied
Es gibt noch eine Bedingung dafür, besonders stressgefährdet zu sein: zum weiblichen Teil der Bevölkerung zu gehören. Denn Frauen, das stellte der amerikanische Psychologe Herbert Freudenberger schon vor 20 Jahren fest, neigen noch immer dazu, sich bis zur Selbstaufgabe anderen zu widmen. Sie lernen als Mädchen nicht, ihren eigenen Bedürfnissen nachzugehen, sondern sich nach anderen zu richten. Als Mutter kann diese Haltung zur Falle zu werden.
Aber auch Väter sind durch die Familie mit Stress belastet. Und zwar vor allem die engagierten unter ihnen. Sie zerreiben sich an ihrem Anspruch, ihren Beruf gut ausfüllen und gleichzeitig ein gleichberechtigter Familienpartner sein zu wollen. „Väter heute arbeiten genauso hart wie die früheren Väter“, schreibt der Londoner Mediziner Dr. Tim Cantopher dazu, „aber zur gleichen Zeit fühlen sie sich verpflichtet, zu Hause eine Menge mehr zu leisten, so dass sie ungeheuer gestresst sind.“ Die Psychologen nennen dieses Phänomen das Atlas-Syndrom: Der Mann trägt die ganze Welt auf seinem Rücken.
Und: Sie erleben die Berufstätigkeit anders als die Männer. Die meisten Mütter arbeiten nur halbtags und für sie bedeutet der Beruf meist nicht Belastung, sondern Entlastung von familiären Aufgaben: „Man ist als Arbeitende aus der Mutterrolle raus und sieht etwas ganz anderes“, erklärt die zweifache Mutter Monika Metzler.
Und die Kinder?
Die kennen Stress auch schon von früh an. Denn der Alltag sieht für sie so aus: Horttermine, Kindergartentermine, Schultermine, Hobbytermine. Alles ist wichtig und als Einzelnes sinnvoll, aber die Fülle stellt für viele Kinder eine Belastung dar – ganz abgesehen vom Leistungsdruck in der Schule. Dazu kommen die Termine der Erwachsenen, die den Tag einteilen und denen sich die Kinder anpassen müssen.
Erwachsene kommen mit dem streng eingeteilten Tag im allgemeinen mehr oder weniger gut zurecht. Sie können auch mehrere Tätigkeiten gleichzeitig verrichten. Es gibt sogar einen Begriff für die Erwachsenen, die beim Essen SMS schicken, beim Autofahren Telefonieren, und beim Fernsehen ihre Korrespondenz erledigen: Man spricht von Simultanten, von Menschen, die simultan Mehreres erledigen. Doch Kinder können das nicht, sie müssen jede einzelne Fähigkeit erst erlernen, und zwar langsam und nach ihrem Zeitplan.
Dazu gesellt sich ein ganz neues Phänomen: Eltern wollen ihre Kleinen fördern, und zwar von Anfang an. Bilderbücher werden nicht gekauft, weil sie ein schönes Spielzeug sind, sondern um Kinder an das Lesen heranzuführen, Spielsachen für Kleinkinder sollen Buchstaben und Zahlen vermitteln, damit das Kind gut auf die Schule vorbereitet ist. Sobald ein Kind sich bei einem Hobby geschickt anstellt, wird es in einem Verein angemeldet, damit die Talentförderung eine Chance hat.
Der Grund für dieses Elternverhalten ist zum einen schlechtes Gewissen. Wenn Mama und Papa schon wenig Zeit haben, dann soll diese Zeit sinnvoll verwandt werden. Der zweite Grund ist die Bedeutung des Kindes für Eltern. Männer und Frauen überlegen sich heute sehr genau, ob ein Kind in ihren Lebensplan passt und wenn ja, wann. Ist das eine Wunschkind und vielleicht noch ein Geschwisterchen dann da, sollen die Jahre mit ihnen Erfüllung bringen und alle Träume rund um die Familie und das Kind erfüllen. Eine Erziehung mit Grenzen von Anfang an ist anstrengend und deshalb haben Eltern darauf keine Lust.
Kinder widersetzen sich diesem Erwartungsdruck. Sie wollen keineswegs immer gefördert werden, sondern einfach nur spielen. Sie wehren sich gegen Grenzen, die erst gesetzt werden, wenn sie schon einige Jahre auf der Welt sind, und bieten keineswegs einen harmonischen Familienalltag. Sie zeigen sehr häufig wie die Erwachsenen durch Aggressionen, dass ihnen „alles zu viel ist.“
Auch wenn sich niemand frühere Zeiten zurückwünscht – schon gar nicht die Frauen -, so war der damalige Alltag für die Entwicklung von Kindern optimal. Die Mahlzeiten fanden zu festen Zeiten statt, die jahreszeitlichen Feste wurden gefeiert, es gab keine Diskussionen um Kleider, Tischabräumen und Schlafenszeiten und wenn die Kleinen aus der Schule kamen, war jemand zu Hause. Nun geht es heute nicht darum, in nostalgischen Gefühlen zu baden oder gar die Verhältnisse wieder herzustellen, sondern zu schauen, was Kinder genau brauchen und wie sich das mit unserem heutigen Alltag verbinden lässt.
Der Weg aus der Stressspirale
Es gibt Mittel gegen Stress und das Ausbrennen. Und diese sind nicht einmal besonders kompliziert.
Für Kinder sehen sie ein bisschen anderes wie für Erwachsene. Kinder brauchen Regelmäßigkeit und unverplante Zeit, sie brauchen ihnen zugewandte Eltern und Tätigkeiten ohne Leistungsdruck. Sie brauchen einen Tagesablauf mit für sie erkennbarem Rhythmus, Routinen und Grenzen.
Für Eltern heissen die Mittel zusammengefasst: Fürsorge für sich selber und das Paar. Zur Fürsorge für sich selber gehört inbesondere für die Mutter Entlastung von Haushaltsaufgaben – entweder durch den Partner oder durch bezahlte Hilfskräfte. Weitergehende Fürsorge für sich selber hat eine Voraussetzung: Zeit ohne Kinder! Entweder für Vater oder Mutter allein oder für das Paar. Es ist Illusion zu glauben, nur die Eltern sieben Tage rund um die Uhr könnten sich um das Kind kümmern. Eltern brauchen regelmäßige! Stunden für sich allein, für Hobbys, für Freunde, für Sport und für Unternehmungen des Paares. Doch viele, viele Eltern scheuen fixe Termine für sich selber, und dabei sind gerade die es, die sie emotional und körperlich fit halten. Und die ihnen ermöglichen, sich wieder gut um ihre Kinder zu kümmern.
Ein weiterer Aspekt ist entscheidend bei der Vorbeugung gegen Stress und Burnout. Viele Eltern machen sich nicht bewusst, dass die Kinderphase nicht ewig dauert. Angesichts unserer durchschnittlichen Lebenserwartung ist die intensive Erziehungsphase nicht lang.
Und noch etwas relativiert die Belastung durch das Eltern-Sein, etwas, das Eltern sich im Alltagstrott oft nicht bewusst machen. „Ich möchte meine Kinder nicht missen“, erzählt die zweifache Mutter Heike Ullinger dazu, „nicht, weil ich mich über meine Kinder definiere. Für mich gehören Kinder einfach dazu zum Auf-der-Welt-Sein. Kinder haben, das heißt auch, sich einer Verantwortung stellen und daran reifen. Kinder bedeuten auch Wachstum, einer Generation etwas weiter zu geben. Es ist eine Entdeckungsreise, meine Kinder aufwachsen zu sehen.“