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Wenn die Konzentration Achterbahn fährt

Viele Kinder und Jugendliche haben Mühe, sich längere Zeit zu konzentrieren. Dies wirkt sich nicht selten negativ auf die Schulleistungen aus. Die Ursachen für dieses Phänomen sind vielfältig. Gerade Handy und neue Medien bergen ein grosses Ablenkungspotenzial.

Bild:©New Africa/shutterstock.com

Simon sitzt in seinem Zimmer. Er sollte einen Text lesen und diesen anschliessend für den Deutschunterricht zusammenfassen. Doch das ist einfacher gesagt als getan. Es fällt dem 15-Jährigen schwer, sich auf den Text zu konzentrieren. Immer wieder schweift er ab und lässt sich von anderen Dingen – zum Beispiel seinem Handy – beeinflussen. Auch nach einer Stunde ist der Oberstufenschüler kaum weiter. Das weisse Blatt vor ihm ist immer noch leer. Gelesen hat er bis jetzt kaum etwas. Verzweiflung macht sich breit. Nicht nur bei Simon, auch bei seinen Eltern, die sich Sorgen um seine Schulleistungen machen. Für Eva Kathriner, Fachpsychologin für Psychotherapie sowie für Kinder- und Jugendpsychologie FSP aus Luzern, ist dieser Fall von Simon kein Einzelfall: «In meiner Praxis begleite ich tatsächlich einige Kinder und Jugendliche sowie auch junge Erwachsene, die über Konzentrationsstörungen im Alltag berichten.» Diese Schwierigkeiten zeigten sich vor allem dann, wenn unliebsame Tätigkeiten erledigt werden müssen. So haben offenbar einige Kinder und Jugendliche Mühe, wenn sie selbstständig lernen und konzentriert an den Aufgaben dranbleiben sollen. Geht es hingegen ums freie Spielen, gelingt es ihnen laut Eva Kathriner oftmals besser, sich auf die aktuelle Beschäftigung einzulassen. «Die Motivation und das Interesse für eine Sache spielen somit sicher auch eine Rolle», ist die Kinder- und Jugendpsychologin überzeugt.

Häufigste psychische Störung

Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen gelten heute laut der interdisziplinären Studie zum Umgang mit ADHS der Forschungsstelle Geisteswissenschaften der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (zhaw) als eine der häufigsten psychischen Störungen im Kindes- und Jugendalter. «In der Schweiz deuten regionale Studien auf eine Zunahme pharmakologisch behandelter Kinder hin, was landesweit zu Sorgen unter Politikerinnen und Politikern, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie betroffenen Familien führt», schreibt das Studienteam. Konzentrationsschwächen oder auch -störungen machen sich bereits im Kindesalter oder auch während der Pubertät bemerkbar. Den Betroffenen fällt es schwer, ihre Aufmerksamkeit ausreichend zu bündeln, um eine Aufgabe zu erledigen. Weiter bekunden die Kinder und Jugendlichen Mühe, effizient zu arbeiten und die Arbeit fertig zu stellen, da sie gedanklich oft abschweifen. Immer wieder kommen ihnen während der Umsetzung eines Auftrages neue Ideen in den Sinn, die sie von der aktuellen Arbeit abhalten. Dabei beobachtet Eva Kathriner unter anderem, dass die betroffenen Kinder und Jugendlichen aufgrund dieser Ablenkung viele Flüchtigkeitsfehler machen. Neben dieser inneren Ablenkung sorgen auch äussere Reize für Ablenkung. «Die Kinder und Jugendlichen nehmen ganz viel wahr, was rund um sie herum passiert und verlieren dadurch schneller den Fokus. Sie sind mit ihrer Konzentration nicht mehr beim Lösen ihrer Aufgabe, die gerade vor ihnen liegt.» Eva Kathriner vergleicht diese Situation mit dem Scheinwerferlicht und bezieht sich dabei auf die Fachliteratur: «Betroffenen mit Störungen im Bereich der Aufmerksamkeit und Konzentration gelingt es nicht, den Scheinwerfer auf das aktuell relevante Geschehen zu richten und ihn dort zu lassen. Vielmehr ist der ganze Kinosaal beleuchtet, und es ist ihnen nicht mehr so klar, wo genau sich das Relevante abspielt.»

Grosse schulische Herausforderungen

Wie eine Studie des Universitätsklinikums Ulm, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, zeigt, können sich im Durchschnitt Kinder von fünf bis sieben Jahren bis zu 15 Minuten konzentrieren, Kinder der Altersgruppe sieben bis zehn bis zu 20 Minuten, 10- bis 12-jährige Kinder etwa 25 Minuten und Kinder von 12 bis 16 Jahren ca. 30 Minuten. Allgemein gilt als Faustregel, dass die Konzentrationsspanne den Lebensjahren des Kindes multipliziert mit zwei entspricht. Unterrichtseinheiten von 45 Minuten stellen für Kinder also eine echte Herausforderung dar. Umso wichtiger ist es, den Unterricht abwechslungsreich zu gestalten und kurze Pausen einzubauen. Einige Kinder können sich vielleicht schon im Alter von sieben Jahre über einen längeren Zeitraum konzentrieren, während andere Kinder unter Konzentrationsproblemen in der Schule leiden. Wer als Kind oder jugendliche Person Mühe bekundet, Aufgaben selbstständig zu lösen und zu beenden, steht oft vor grossen Herausforderungen in der Schule (siehe auch Interview mit Eva Kathriner). Die schulischen Leistungen lassen zu wünschen übrig, die Schülerin oder der Schüler bewältigt den Schulstoff nur mit grossem Aufwand und viel Mühe. Ausserdem fällt ihnen das Lernen für eine Prüfung schwer, denn es mangelt ihnen an der geeigneten Lernstrategie. So erstaunt es kaum, wenn sich neben der Frustration über schlechte Schulnoten die Prüfungsangst aufbaut und für eine Negativspirale sorgt.

Vielfältige Ursachen

Die Ursachen für Konzentrationsschwierigkeiten können vielfältig sein. «Zum einen spielen genetische, biologische, psychische und soziale Faktoren eine Rolle», erklärt Eva Kathriner. Zu den sozialen Faktoren zählen beispielsweise die Beziehungen innerhalb einer Familie oder der Freundeskreis, sofern vorhanden – denn: «Ein Kind, das in der Schule von seinen Gleichaltrigen ausgeschlossen wird, kann sich möglicherweise aufgrund dieser schwierigen Situation gar nicht auf den Unterricht einlassen», begründet die Fachpsychologin. Zum andern wirke sich die Alltagsstruktur von Kindern und Jugendlichen auf deren Konzentrationsverhalten aus. Entscheidend sei dabei, welche und wie viele Aktivitäten das Kind zusätzlich zur Schule habe, ob es über genügend freie Erholungs- und Spielzeit verfüge und es geregelte Strukturen sowie Schlafenszeiten gebe. Regelmässiges Essen und Trinken dürfe ebenfalls nicht unterschätzt werden, sagt Eva Kathriner. «Als ehemalige Lehrperson habe ich schon beobachtet, dass eine einfache Veränderung im Alltag – zum Beispiel mit einer Zwischenverpflegung am Morgen – sich sehr positiv auf die Konzentrationsfähigkeit des Kindes ausgewirkt hat.»

Einfluss auf der Körperlichen Ebene

Auf der körperlichen Ebene können laut Dr. Gunhild Kilian-Kornell vom Berufsverband Deutscher Kinder- und Jugendärzte e.V. Ungleichgewichte im Hormon- oder Mineralstoffhaushalt den Austausch von Botenstoffen zwischen den Nervenzellen und die Nervenleitfähigkeit stören, was sich in einer Vielzahl von Krankheitsmerkmalen äussern kann, darunter auch Konzentrationsstörungen. Daneben sei ferner Bewegungsmangel häufig der Auslöser für eine mangelnde Konzentrationsfähigkeit bei Kindern und Jugendlichen. Als weitere körperlichen Ursachen für Konzentrationsmangel werden Gehirnprellung, Halswirbelsäule-Schleudertrauma, Grippe oder eine Lungenentzündung genannt. Unverträglichkeiten auf bestimmte Nahrungsmittel oder Chemikalien sowie Umweltgifte können das Nervensystem angreifen und somit die Konzentrationsfähigkeit beeinträchtigen. Ebenso kann eine unzureichende Muskelspannung, die den Körper aufrecht hält, dazu führen, dass das Kind permanent damit beschäftigt ist, sich aktiv aufrecht zu halten, zum Beispiel in der Schule zu sitzen, sodass es nicht genügend Energie übrig hat, um sich auf die gestellten Aufgaben zu konzentrieren.

«Enorme Ablenkungsquelle»

Welche Rolle spielen die neuen Medien oder die Handys? «In meiner Praxis höre ich vor allem bei Jugendlichen, dass sie sehr viel Zeit mit dem Handy verbringen und dieses fast pausenlos bei ihnen ist», berichtet Eva Kathriner. Dies sei eine «enorme Ablenkungsquelle», wenn Kinder und Jugendliche beim Lernen oder Erledigen der Schulaufgaben ständig aufs Handy schauen und auch noch Textnachrichten oder Anrufe erhalten. «Selbst wenn keine Nachrichten eintreffen, sind sie trotzdem geistig immer wieder damit beschäftigt, aufs Handy zu schauen. Hier scheint es mir um eine Art von Angst oder Sorge zu gehen, etwas verpassen zu können, wenn das Handy nicht immer in der Nähe ist und regelmässig überprüft wird.» Als besondere Herausforderung erachtet Eva Kathriner, dass die neuen Medien auch für die Hausaufgaben eingesetzt werden. Hier brauche es sehr viel Selbstdisziplin, um dann nur bei der eigentlichen Aufgabe zu bleiben und nicht in Versuchung zu geraten, gleichzeitig auf anderen Apps aktiv zu sein. Selbstverständlich können sich – so die Kinder- und Jugendpsychologin – auch andere Medien wie Computer oder Fernsehen auf die Konzentration auswirken.

Tipps für zu Hause

  • Kinder und Jugendliche brauchen einen festen Lernplatz. Die Arbeitsmaterialien sollten stets in Reichweite sein.
  • Rituale erleichtern das Einsteigen ins Lernen – z. B. gleich bleibende, regelmässige Lernzeiten ausmachen.
  • Wenn Eltern ihr Kind beim Lernen unterstützen, sollten sie ihm ihre volle Aufmerksamkeit schenken.
  • Es braucht eine entspannte und ruhige Atmosphäre.
  • Eine Entspannungspause vor den Hausaufgaben und dem Lernen baut die Anspannung ab. Einige brauchen Ruhe, andere wollen sich bewegen, bevor sie sich wieder konzentrieren können.
  • Die Zeit fürs Arbeiten sollte so gewählt werden, dass das Kind noch fit ist.
  • Eine ausgewogene Ernährung sowie ausreichend Flüssigkeit beugen einem Nährstoffmangel vor. Besonders Wasser kann die Konzentrationsfähigkeit verbessern.